Wenn der Rücken für die Seele schmerzt

Nicht selten „versteckt” sich eine Depression hinter unspezifischen Schmerzen, wie etwa Kopf- und Rückenschmerzen. Wird dann der Hausarzt aufgesucht, gehört schon etwas „Detektivarbeit” dazu, herauszufinden, was dem Patienten fehlt.

Frau M. hat eine jahrelange Odyssee hinter sich. Wegen quälender Kopfschmerzen suchte sie Rat bei ihrem Hausarzt. Dieser verwies an mehrere Spezialisten, wie etwa zum Neurologen, zum Ophtalmologen und zum Orthopäden. Die Ursache des Schmerzes konnte aber nicht gefunden werden. Alles was Frau M. hörte war, dass es für ihre Beschwerden wohl keine somatische Ursache gäbe. Erst ein Psychiater, den Frau M. auf den Rat einer Freundin aufsuchte, entdeckte den Grund für die quälenden Kopfschmerzen. Nach einem ausführlichen Anamnesegespräch stellte sich heraus, dass Frau M. an einer „maskierten” Depression litt, maskiert deshalb, weil sich die Erkrankung „hinter den Kopfschmerzen” quasi versteckte.

Versteckte Krankheit
Diese „maskierte” Depression kommt viel häufiger vor, als man denkt: bis zu 70 Prozent aller Patienten konsultieren den Arzt primär mit physischen und eher unspezifischen Beschwerden. Dazu gehören unter anderem Apathie, allgemeines Krankheitsgefühl, sexuelle Funktionsstörungen, unsystematischer Schwindel, Schlaf- und Appetitstörungen, Konzentrationsstörungen sowie chronische Schmerzempfindungen, zumeist im Bereich des Muskel- und Skelettsystems.
„Sehr häufig wird zuerst der Hausarzt aufgesucht, wenn der Patient beispielsweise Schmerzen hat, was eine Diagnosestellung „Depression” natürlich entsprechend erschwert,” sagte etwa Univ.-Prof. Dr. Siegfried Kasper, Leiter der der klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie an der Universität Wien, anlässlich eines Symposiums zum Thema „Duale Wirkmechanismen von Antidepressiva” im Rahmen der Jahrestagung der World Psychiatric Organisation in Wien.
„Ein einfacher Fragenkatalog kann jedoch relativ rasch abklären, ob möglicherweise eine Depression hinter den beschriebenen Schmerzzuständen steckt”, erklärt Prof. Kasper. „Dazu gehören beispielsweise Fragen wie: „Wann konnten sie sich das letzte Mal wirklich an etwas erfreuen? Oder „haben sich ihre Schlafgewohnheiten verändert?” Ein ausführliches Anamnesegespräch sollte – so Kasper – jedenfalls einer eventuellen Überweisung zum Spezialisten oder einer Verschreibung eines Antidepressivums vorangehen, um dem Patienten eine „Odyssee” von einem Spezialisten zum anderen zu ersparen.

Therapie mit Antidepressiva
Auch bei Frau M. führte die Diagnosestellung Depression und die Einstellung auf ein Antidepressivum zur Krankheitsremission. Die Schmerzen, unter denen sie litt, konnte allerdings auch das verschriebene Medikament nicht verhindern.
Die altbewährten antidepressiven Substanzen, Trizyklika (TCAs) und MAO-Hemmer, sind seit Jahrzehnten im Einsatz. Da sie aber unspezifisch und unselektiv auf den Neurotransmitterstoffwechsel im Zentralnervensystem und den gesamten Organismus einwirken, ist die Therapie zum Teil mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden.
Die Einführung der Selektiven-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) vor etwa zehn Jahren hat die nervensystemspezifische Wirksamkeit der antidepressiven Therapie und deren Nebenwirkungsprofil „revolutioniert”. „Aber”, sagt etwa Prof. Alan Schatzberg, Vorstand der Klinischen Abteilung für Psychiatrie und Verhaltensforschung an der Stanford Universität, Kalifornien „die SSRI-Therapie hat ihre Grenzen, vor allem, was die Erfolgsquote bezüglich vollständiger Remission und Geschwindigkeit des Wirkungsnachweises betrifft. Immerhin erreichen nur 30 Prozent aller Patienten, die auf Antidepressiva ansprechen, eine komplette Remission.”

Dualer Wirkmechanismus erfolgsversprechend
„Es ist mittlerweile allgemein akzeptiert, dass bei an Depression Erkrankten eine Fehlregulation des Serotonin- und Noradrenalin-Stoffwechsels innerhalb des Zentralnervensystems vorliegt”, sagt Prof. Schatzberg. Beide Neurotransmitter haben eine Schlüsselrolle bei der Signalweiterleitung im Gehirn. Das erklärt auch die potentielle Bandbreite emotionaler und vegetativer/physischer Symptome bei depressiven Patienten. Ein Medikament, das alle Symptome einer Depression bekämpfen soll, muss daher zwei Wirkprinzipien haben.
„Die neueste Generation der Antidepressiva versucht, Bezug nehmend auf diese neurophysiologischen Erkenntnisse, Defizite der Schwerpunktsubstanzen Serotonin und Noradrenalin auszugleichen”, erklärt Prof. Kasper das duale Wirkprinzip neuer Antidepressiva. „Dieser duale Wirkungsmechanismus zielt unter anderem auf die Beseitigung sowohl der emotionalen als auch der physischen Symptome der Depression ab.

karladjean

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„Deshalb”, so fasst Prof. Schatzberg zusammen, „ist ein genaues Anamnesegespräch bei unspezifischen Schmerzzuständen erforderlich. Die Verschreibung eines Antidepressivums mit dualer Wirkungsweise kann sowohl die Depression als auch dazu auftretende Schmerzzustände bekämpfen und erhöht die Chance auf Krankheitsremission.