1. Österreichischer Schizophreniebericht

Rund 90.000 Menschen in Österreich sind an Schizophrenie erkrankt. Die Behandlung der Betroffenen erfordert Empathie, Vertrauen und Zeit. Diese Zeit fehlt: Auf 80.000 Menschen kommt in der Alpenrepublik nur ein Psychiater.„Schizophreniepatienten sind blöd und gefährlich!” So pointiert formulierte Michaela Jägersberger, selbst Patientin, die Meinung, die die Gesellschaft, ihrer Ansicht nach, von dieser Patientengruppe hat. Vorurteile gegenüber Schizophreniepatienten sind immer noch weit verbreitet. Sie gelten als „gespaltene Persönlichkeit”, gefährlich, unberechenbar und – nicht selten – geistig behindert. „An dieser Anschauung hat sich in den vergangenen Jahren nur wenig geändert”, konstatierte Prim. Univ.-Prof. Hans Rittmannsberger, Leiter der Abteilung Psychiatrie 1 der Wagner-Jauregg Nervenklinik Linz und einer der Autoren des 1. Österreichischen Schizophrenieberichts, der Anfang März in Wien vorgestellt wurde.

Um die Lebens- und Behandlungssituation von Schizophreniepatienten zu dokumentieren und Informationsgrundlagen für Entscheidungsträger zu schaffen, wurde der 1. Österreichische Schizophreniebericht unter der Leitung von Hans Rittmannsberger und Univ.-Prof. Johannes Wancata, von der Univ.-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am AKH Wien, erarbeitet: „In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in der Schizophrenietherapie sehr viel verändert”, berichtete Wancata im Rahmen der Vorstellung des Berichts: „Großkliniken, die praktisch nur zur Verwahrung der Kranken erhalten wurden, gibt es nicht mehr.”

Weniger Betten
Die Bettenanzahl auf psychiatrischen Stationen und in spezialisierten Krankenhäusern hat sich in den vergangenen 35 Jahren stark verringert: Kamen 1974 noch 1,37 psychiatrische Spitalsbetten auf 1.000 Einwohner, so waren es 2006 noch 0,40 Betten je tausend Einwohner. Österreich liegt mit diesen Zahlen innerhalb Europas an dritter Stelle, nur Spanien und Schweden weisen noch weniger psychiatrische Betten in Krankenhäusern auf. „Leider gleicht die außerstationäre Versorgung die Verringerung der Betten in den Krankenhäusern nicht aus”, hielt Hans Rittmannsberger fest. „Es werden zwar viele unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten angeboten – es fehlt allerdings die einheitliche Struktur.” Im Klartext: Viele behandelnde Ärzte und ihre Patienten müssen sich mühevoll selbst Möglichkeiten suchen, um Unterstützung im Alltag zu finden.

Die Einführung wirksamer medikamentöser Therapien, aber auch die Unterstützung durch Psycho- und Soziotherapien hat für viele Patienten dazu geführt, dass sie mittlerweile ein weitgehend normales Leben führen können: „Denn Schizophrenie ist nicht immer eine chronische Erkrankung”, hielt Johannes Wancata fest. 22 Prozent der Erkrankten erleiden nur eine einzige Krankheitsepisode und können ohne weitere Einschränkungen leben, 35 Prozent erleben zwar mehrere Episoden, können aber ebenfalls ein uneingeschränktes Leben führen. Bei acht Prozent der Betroffenen kommt es zu mehreren Episoden, die zu mäßigen Einschränkungen führen und etwa 35 Prozent der Patienten erleiden mehrere Episoden, die zu Einschränkungen der Lebensqualität führen und einen sich immer weiter verschlechternden Krankheitsverlauf.

Große Probleme
Aber auch, wenn die Behandlungsmöglichkeiten der Schizophrenie heute weit besser sind, als noch vor wenigen Jahrzehnten, die Probleme sind nicht kleiner geworden. So ist – gerade bei dieser Erkrankung – die Compliance der Betroffenen – oft problematisch. Wenn Symptome abklingen und/oder Nebenwirkungen auftreten, führt das sehr häufig zu einem Abbruch der Medikamenteneinnahme – und dies dann direkt in den Rückfall: „Unter adäquater Medikation erleiden zwischen 15 und 20 Prozent der Patienten einen Rückfall”, erläuterte Johannes Wancata. Eine Verbesserung der Compliance ist zu beobachten, wenn das Arzt-Patientenverhältnis vertrauensvoll ist. Allein, vielen Psychiatern fehlt die Zeit, um sich ihren Schizophreniepatienten in dem Maß widmen zu können, wie diese dies benötigen würden: „Es gibt viel zu wenig Psychiater mit Kassenvertrag”, monierte Hans Rittmannsberger: „Auf einen Psychiater in Österreich kommen 80.000 Einwohner – gewünscht wäre ein Verhältnis von 1:30.000″, so der Psychiater, der sich mehr Kassenplätze für Psychiater und bessere Arbeitsbedingungen für seine Kollegen wünscht.

Ein weiterer wesentlicher Pfeiler der Therapie der Schizophrenie ist die Psychotherapie – aber diese ist für den Großteil der meist nicht sehr begüterten Patienten unleistbar, wie Dr. Waltraud Kress, stellvertretende Vorsitzende der Angehörigenorganisation HPE festhielt: „Die wenigen Psychotherapeuten mit Kassenvertrag sind meist sehr schnell ausgebucht, die Wartezeiten betragen auf einen Therapieplatz betragen oft mehrere Monate.” Ähnliches gilt für soziotherapeutische Angebote, die Hilfe für Angehörige, Möglichkeiten des betreuten Wohnens und Arbeitens und rehabilitative Maßnahmen umfasst.

Der 1. Österreichische Schizophreniebericht listet Fakten zur Erkrankung, die Lebensbedingungen der Betroffen, Angebote zur Behandlung und zur Rehabilitation, aber auch Schwächen im System der Versorgung und Unterstützung von Schizophrenie-Patienten auf. Ein Ziel des Berichts ist es, Anregungen für die weitere Verbesserung von Forschung, Therapie und Versorgung zu bieten. „Denn trotz eines relativ guten Ausbaus der therapeutischen Möglichkeiten in Österreich, bleiben die genannten, zahlreichen offenen Probleme. Das sieht auch Michaela Jägersberger, selbst Schizophreniepatientin so: „Ich wünsche mir eine Begegnung auf Augenhöhe mit den offiziellen Stellen und den Experten.” Sie wünscht sich eine unabhängige Interessensvertretung und ein Ende der Stigmatisierung der Erkrankung. „Die vor einigen Jahren durchgeführte „Antistigma”-Kampagne hat wenig an der Überzeugung der Bevölkerung über die Krankheit Schizophrenie geändert”, weiß auch Psychiater Hans Rittmannsberger: „Solche Kampagnen haben wenig Auswirkungen.” Eine Ansicht, der sich Prof. hc. Dr. Robert Schlögl, Sektionschef im Gesundheitsministerium durchaus anschließt: „Damit solche Kampagnen wirken können, müssten sie dauerhaft durchgeführt werden.” Doch dafür – so scheint es – fehlt das Geld.

Kasten: 1. Österreichischer Schizophreniebericht
Herausgeber: Hans Rittmannsberger und Johannes Wancata
Inhalt (Auswahl):
Schizophrenie – die Krankheit
Epidemiologie und Langzeitverlauf
Pharmakotherapie
Psychiatrische Versorgung in Österreich
Die Betroffenbewegung
Mortalität
Somatische Erkrankungen bei Patienten mit Schizophrenie