Akute Verwirrtheit: Ein Syndrom mit vielen Gesichtern

Vor allem Menschen über 70 Jahren, die viele verschiedene Medikamente einnehmen und bei denen Komorbiditäten vorliegen, können, etwa postoperativ, einen akuten Verwirrtheitszustand erleiden. Exakte und rasche Diagnostik und Behandlung sind lebensnotwendig.


Die Diagnose akuter Verwirrtheitszustand wird bei einem Drittel aller Patienten, die eine Notaufnahme aufsuchen gestellt. Ebenfalls ein Drittel aller über 70jährigen, die in Medizinische Kliniken aufgenommen werden, leiden bei der Aufnahme unter diesem Syndrom. Und bei bis zu 56 Prozent aller hospitalisierten alten Menschen tritt ein akuter Verwirrtheitszustand auf (Kasten 1).


So können Delir und Demenz unterschieden werden.


Die Ursachen für das Syndrom sind ebenso vielfältig wie die Symptome, die bei einem akuten Verwirrtheitszustand auftreten können. „Zu den Risikofaktoren zählt das höhere Lebensalter, Polypharmazie, psychische Komorbiditäten sowie vorbestehende Hirnerkrankungen“, sagt Univ.-Doz. Andreas Conca, Oberarzt der Abteilung 1 für Psychiatrie am Landeskrankenhaus Rankweil im Interview mit der Österreichischen Ärztezeitung. „Wesentlich ist eine rasche und auf die klinische Relevanz bezogene Diagnose“, so der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie.


Vielgestaltige Symptomatik

Nicht selten wird ein akuter Verwirrtheitszustand übersehen, weil die Symptomatik ausgesprochen vielgestaltig sein kann. Ein akut verwirrter Patient kann etwa sowohl hypo- als auch hyperaktiv sein. Die Symptomatik umfasst Bewusstseinsveränderungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Störungen der Kognition, gestörter Schlaf-Wachrhythmus und emotionale Störungen (alle Symptome siehe Kasten 2). Auch die Beeinflussung der Stimmungslage bis hin zu einer depressiven Symptomatik gehört zum Symptomenkomplex und birgt Komplikationen: „Das depressive Moment kann als Depression verkannt werden“, betont Andreas Conca.


Auch bei Jüngeren

Neben der Gruppe der älteren Patienten, die dieses Syndrom am häufigsten aufweisen, kann eine akute Verwirrtheit natürlich auch bei jüngeren Patienten auftreten. Auch hier sind die Ursachen vielfältig: „Das Spektrum reicht von der Herzschwäche über Diabetes, ein rupturiertes Aortenaneurysma, Enzephalitiden bis hin zu Fieber“, umreißt Univ.-Prof. Fritz Sterz, Facharzt für Innere Medizin und stellvertretender Leiter der Universitätsklinik für Notfallmedizin am AKH Wien die Problematik. „Auch Intoxikationen, Medikamenteninteraktionen, Mangelernährung und Dehydratationen können einen akuten Verwirrtheitszustand auslösen“, so Sterz weiter.


Nicht selten ist auch eine banale Dehydratation die Ursache für den akuten Verwirrtheitszustand beim älteren Menschen. Fritz Sterz: „Gerade beim älteren Patienten muss sehr auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden, um derartige Krankheitsbilder zu verhindern.“


Prävention vor OP

Sehr häufig tritt ein akuter Verwirrtheitszustand – vorwiegend bei älteren Patienten – auch nach größeren operativen Eingriffen auf. Mittlerweile wird – im Vorfeld elektiver Eingriffe – versucht, präventiv gegen das sogenannte Durchgangssyndrom vorzugehen. „Dazu gehört eine gute Anamnese, um das Risiko abzuschätzen“, erläutert Andreas Conca. „Bestehende Komorbiditäten müssen möglichst gut therapiert werden und die Umstellung auf eine ungewohnte Umgebung sollte so kurz wie möglich gehalten werden.“ Eine familiäre Gestaltung des Krankenzimmers, gut sichtbare Kalender und Uhren sowie die häufige Anwesenheit von Familienmitgliedern am Krankenbett unterstützen die präventiven Maßnahmen postoperativ.


Um eine rasche und exakte Therapie der akuten Verwirrtheit zu ermöglichen, ist die Diagnostik – schon wegen der vielen möglichen Auslöser und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Therapie – das Um und Auf. Wesentliche Punkte dabei sind Anamnese und Fremdanamnese. „Die Fremdanamnese brauchen wir, um abzuklären, ob eine Verwirrung schon länger besteht, vom Patienten selbst aber gar nicht wahrgenommen wird, hält Andreas Conca fest. Weiters muss abgeklärt werden, welche Medikamente der Patient einnimmt. So können etwa Sedativa, Analgetika aber auch Antihypertensiva an der Entstehung eines akuten Verwirrtheitszustandes beteiligt sein (siehe Kasten 3). „Gerade bei älteren Patienten, die viele unterschiedliche Arzneimittel einnehmen, kann es zu Interaktionen kommen, die ein akutes Delir auslösen“, erklärt Andreas Conca.


Eine umfassende Laboruntersuchung ergänzt die diagnostischen Maßnahmen. „Erhoben werden Hämatologie und Blutchemie, Alkohol- und Medikamentenspiegel“, berichtet Andreas Conca. „Je nach Verdachtslage können etwa auch die Schilddrüsenhormone, die Entzündungsparameter, die Leber- und Nierenwerte und die Kreatinin-Phosphor-Kinase bestimmt werden.“ Und Fritz Sterz ergänzt: „Zusätzlich sollte ein EKG gemacht werden, wenn es die Klinik erfordert ist auch ein Röntgenaufnahme des Thorax sinnvoll.“ Wird eine zerebrale Ursache vermutet, ist ein Schädel-CT sowie ein EEG und die Gefäßbeurteilung mittels Doppler-Sonographie indiziert. Eine gute Ergänzung der diagnostischen Maßnahmen stellt die Confusion Assessment Method (CAM) dar, mit deren Hilfe in wenigen Schritten ein akutes Delir diagnostiziert bzw. ausgeschlossen werden kann.1


Nicht zuletzt muss die Abklärung „akuter Verwirrtheitszustand“ oder „Demenz“ vorgenommen werden, wobei ein Delir auch bei vorbestehender Demenz auftreten kann (siehe Kasten 4).

Diagnostische Herausforderung

Die Therapie des akuten Verwirrtheitszustandes gliedert sich in die Notfall- und die Ursachenbehandlung. Mit der Notfallbehandlung wird unmittelbar auf die Symptome, wie Angst, Unruhe, Agitiertheit und Gereiztheit reagiert. Eingesetzt werden kurz wirksame Benzodiazepine ebenso wie Haloperidol. Im Anschluss wird je nach Ursache behandelt. Wesentlich ist eine exakte Überwachung der Körperfunktionen und die genaue Durchsicht der vom Patienten zuvor eingenommen Medikament, um zukünftige Interaktionen zu vermeiden. Zusätzlich sollte, wie bereits beschrieben, die Umgebung hell und freundlich sein, persönliche Gegenstände, Uhren und Kalender, sowie die häufige Anwesenheit von Familienangehörigen und Freunden verbessern die Orientierung der Patienten. „Die akute Verwirrtheit ist eine diagnostische Herausforderung und benötigt ein komplexes therapeutisches Vorgehen“, zeigt sich Andreas Conca überzeugt.


Die Diagnosestellung und Therapieeinleitung sollte so rasch wie möglich erfolgen, da der akute Verwirrtheitszustand hohe Relevanz auf Morbidität, Mortalität und Hospitalisierungsdauer des Patienten aufweist. Er verlängert die Aufenthaltsdauer des Patienten im Krankenhaus, kann einen negativen Einfluss auf die Grunderkrankung ausüben. Wird nicht rasch genug reagiert, kann ein akuter Verwirrtheitszustand chronifizieren und die Aufnahme auf einer Pflegestation erforderlich machen. Nicht zuletzt ist auch die Sterblichkeit deutlich erhöht.


Kasten 1: Häufigkeit des akuten Verwirrtheitszustandes

30 – 50 % der über 70jährigen hospitalisierten Paitenten

20 % der Aufnahmen an Allgemeinstationen

40 % der Patienten auf Intensivstationen

30 – 40 % nach aortokoronarem Bypass

10 – 15 % nach elektiver Endoprothetik

50 – 70 % nach Schenkelhalsfraktur

Quelle: Dr. Andras Conca


Kasten 2: Symptome des akuten Verwirrtheitszustandes

Bewusstseinsveränderungen

Aufmerksamkeitsstörungen

globale kognitive Störungen, Denkstörungen

verminderte oder vermehrte psychomotorische Aktivität

gestörter Schlaf-/Wachrhythmus meist verbunden mit Tag/Nacht-Umkehrung

Fluktuationen mit luziden Intervallen

emotionale Störungen

Ängste

Reizbarkeit

Dr. Andreas Conca


Kasten 3: Delir-auslösende Medikamente

– Sedativa

– Hypnotika

– Antihistaminika

– Trizyklische Antidepressiva

– Antipsychotika

– Antihypertensiva

– Antidiabetika

– Antibiotika

Quelle: Dr. Andreas Conca

Zum Nachlesen: http://www.icudelirium.org/delirium/training-pages/German.pdf (Ausführliche Informationen zur Diagnose des akuten Verwirrtheitszustandes mit Hilfe der Confusion Assessment Method