Neurologische Nebenwirkungen der Tumortherapie: Nicht immer vermeidbar

Viele Tumortherapeutika triggern neurologische Nebenwirkungen. Die Bandbreite reicht von leichten Polyneuropathien bis hin zu schweren und lebensbedrohlichen Enzephalopathien. Nicht alle Nebenwirkungen sind dauerhaft reversibel.

Neurologische Nebenwirkungen von Zytostika sind häufig. Beobachtet werden substanzabhängige Anfälle, Enzephalopathien, transiente cerebellare Symptome oder auch das Posterior Reversible Encephalopathy Syndrome (PRES). Kopfschmerzen, zerebrale Infarkte und Krampfanfälle, aseptische Meningitiden, Myelopathien und Hirnnervenstörungen sind beschrieben. Im peripheren Nervensystem kommt es vorwiegend zu Polyneuropathien und etwas seltener zu Myopathien mit Myalgien, Schwäche und Muskelkrämpfen.

Am häufigsten führen Vinca-Alkaloide, Platin-Derivate und Taxole zu neurologischen Nebenwirkungen im peripheren Nervensystem. Die derzeit häufigsten Nebenwirkungen in der Tumortherapie betreffen das periphere Nervensystem, im Sinne von Polyneuropathien. Viele Tumortherapien bei Mammakarzinomen, Lungentumoren und bei hämatologischen Erkrankungen beinhalten Substanzen, die zu Polyneuropathien führen und deshalb dosislimitierend sind.

„Im Zentralnervensystem kann es unter Ifosphamid zu substanzabhängigen Anfällen kommen”, erläutert Univ.-Prof. Wolfgang Grisold, Vorstand der neurologischen Abteilung am SMZ-Süd, Kaiser Franz Josef-Spital in Wien. Zur Behandlung neurologischer Nebenwirkungen ist, so Grisold, eine genaue und subtile Kenntnis der onkologischen Therapie notwendig, um die Ursachen der Nebenwirkungen genau zuordnen zu können. „Nicht immer ist die Toxizität die einzige Differentialdiagnose, es können auch Metastasen, metabolische Effekte und Infektionen im Zusammenhang mit neurologischen Nebenwirkungen bei Tumorerkrankungen stehen.”

Penible Aufzeichnungen
Eine Behandlung neurologischer Nebenwirkungen von Tumortherapeutika ist schwierig. Meist hilft nur das Absetzen des auslösenden Agens. Allerdings ist eine – zumindest teilweise – Prophylaxe möglich: „Durch die Auswahl der Therapiemodalitäten, die Vermeidung einer gleichzeitigen Radiotherapie und durch supportive Maßnahmen kann neurologischen Nebenwirkungen im ZNS vorgebeugt werden.” So kann etwa eine Anfallsprophylaxe sinnvoll sein, wenn im Rahmen einer Chemotherapie mit zerebralen Krampfanfällen gerechnet werden muss. Im peripheren Nervensystem können neurotoxische Wirkungen strategisch ganz verhindert werden: „Es sind von fast allen neurotoxischen Substanzen die Kumulativdosen bekannt”, weiß Grisold: „Penible Aufzeichnungen und Screenings helfen, drohende Neurotoxizitäten zu erkennen und zu vermeiden.”

Häufig reversibel
In vielen Fällen ist eine neurologische Symptomatik aufgrund einer Chemotherapie reversibel. In Einzelfällen kann die Symptomatik allerdings auch noch Monate nach Beendigung einer Zytostika-Behandlung progredient sein. Zu nennen ist hier etwa die chronische Enzephalopathie nach Methotrexat-Behandlung und gleichzeitiger Bestrahlung.
Eine seltene Nebenwirkung ist die aufsteigende Myelopathie als Komplikation einer intrathekalen Chemotherapie mit Methotrexat oder Ara-C (Arabinosylcytosin), die sich im Verlauf nur selten bessert.

Aber nicht nur Zytostika, sondern auch andere onkologische Therapien können sich auf ZNS und PNS auswirken. Dazu zählt etwa die Strahlentherapie – Stichwort Ganzschädelbestrahlungen. „Diese Behandlung wird allerdings nur noch angewendet, auch insgesamt haben sich die Bestrahlungsmodalitäten soweit verbessert, dass es immer weniger zu strahlentherapieassoziierten neurologischen Nebenwirkungen kommt”, meint Wolfgang Grisold im Gespräch mit der Österreichischen Ärztezeitung. Biologische Therapien, etwa mit Interferonen, können Anfälle und Enzephalopathien auslösen. Und unter Behandlung mit Antikörpern, wie etwa Rituximab wurden Fälle von progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) beschrieben. Auch die neueste Generation der Medikamente in der Onkologie kann – in Bezug auf neurologische Nebenwirkungen – nicht frei gesprochen werden: „Unter Thalidomid als Neoangiogenesehemmer, werden Neuropathien beobachtet”, erläutert Wolfgang Grisold. „Dies gilt insbesondere in Kombination mit neurotoxischen Chemotherapien.”

Exakt monitieren
Zur Vermeidung neurologischer Nebenwirkungen ist ein exaktes klinisches Monitoring und die enge Zusammenarbeit im Tumorboard. „Dabei müssen Wirkungen und potenzielle Nebenwirkungen abgewogen und eine „Nutzen-Risiko”-Analyse erstellt werden”, fasst Grisold zusammen: „Bei einem definierten kurativen Therapieziel wird – unter Ausnützung aller prophylaktischer Maßnahmen – das Risiko von neurologischen Nebenwirkungen in Kauf genommen werden müssen”, sagt Grisold abschließend.