Sabine Fisch ist Pressesprecherin des Pathologisch-anatomischen Bundesmuseums in Wien

Der "Narrenturm" in Wien beherbergt die weltweit größte Sammlung an anatomischen und pathologischen Präparaten.

Seit Anfang Juni werke ich als Pressesprecherin für eine Wiener Institution. Das Pathologisch-anatomische Bundesmuseum im Wiener Narrenturm ist die weltweit größte Sammlung von anatomischen und pathologischen Präparaten, wie z. B. missgebildete Skelette, Tumoren, Gallensteine und kranke Organe in Formaldehyd.

Der "Narrenturm" in Wien beherbergt die weltweit größte Sammlung an anatomischen und pathologischen Präparaten.

Der “Narrenturm” in Wien beherbergt die weltweit größte Sammlung an anatomischen und pathologischen Präparaten.

Zudem beherbergt das Museum die weltgrößte Sammlung an Wachsmoulagen. Das sind Nachbildungen von Krankheitsbildern aus Wachs. Sie stammen aus einer Zeit, in der es keine Photographie gab – Krankheitszeichen, wie etwa Pusteln oder Verbrennungen, konnten nur aus Wachs gebildet werden.

Geschichte des Museums:

Im Frühjahr 1783 erteilte der „Reformkaiser“ Joseph II. den Auftrag zur Errichtung einer Irrenanstalt – zuerst in Form einer öffentlichen Ausschreibung, später jedoch als sein Privatprojekt, dessen Bau und Einrichtung er selbst überwachte und für das er mit eigenen Geldmitteln aufkam. Der „Irrenthurm“, wie er anfangs noch hieß, war die erste medizinische Einrichtung, die ausschließlich zur Behandlung von Geisteskranken errichtet wurde. Zur Zeit Josephs II. galt das „Irresein“ noch als heilbar, und die Ärzte unterschieden zwischen Krankheitsformen wie Melancholie, Tollheit, Unsinnigkeit und Wahnwitz. Heilungsversuche unternahmen sie mittels Schröpfen, Aderlass, Brech- oder Abführmitteln, um die „Säfte“ des Körpers wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Wahnsinnige lebten entweder im Familienverband, in kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen oder – im 18. Jahrhundert zunehmend – neben Verbrechern in Zucht- und Tollhäusern.

1784 war das Gebäude schließlich bezugsfertig und nahm Geisteskranke auf, die zuvor auf diverse Wiener Spitäler verteilt gewesen waren. Der Narrenturm ist ein Rundbau mit fünf Stockwerken, in denen jeweils 28 Zimmer an die Außenfront des Gebäudes gehen. Die Zimmer sind über einen kreisrunden Gang in jeder Etage zugänglich. In der Mitte des Turms steht ein Quergebäude, das den Verwaltungstrakt und ein Stiegenhaus enthält; es teilt den Innenhof in zwei Hälften. Psychisch Kranke, die als gefährlich galten, die „Tobenden“, waren einst in ihren Zimmern angekettet, die „harmlosen“ PatientInnen konnten sich frei bewegen. Erst später bekamen die einzelnen Zellen Türen mit Sichtfenstern.

1795, elf Jahre nach der Eröffnung wurde eine Mauer um den Narrenturm gebaut, um zum einen Schaulustige fernzuhalten und zum anderen den Insassen der Anstalt einen Garten zur Verfügung zu stellen.
Ab dem Wintersemester 1844 fand im Narrenturm der theoretische und praktische Unterricht der Psychiatrie – die sich erst Anfang des 19. Jahrhunderts als eigene medizinische Disziplin etabliert hatte – statt. 1852 wurde die neue psychiatrische Anstalt am Bründlfeld in Betrieb genommen, die fortan die meisten Psychiatriepatienten aufnahm. Im Narrenturm landeten mehr und mehr die unheilbaren, hoffnungslosen Fälle – bis das Gebäude 1866 als Anstalt geschlossen wurde.  Nach 1870 sollte der Narrenturm eigentlich abgerissen werden, blieb jedoch erhalten und stand 50 Jahrelang leer.

Ab 1920 wurde er als Schwesternwohnheim und für Ärzte- und andere Dienstwohnungen genützt.
 Seit November 1971 beherbergt das nicht nur medizinhistorisch, sondern auch architektonisch bedeutsame Gebäude das Pathologisch-anatomische Bundesmuseum.

1993 wurde dem Museum – als Mieter – dann das gesamte Gebäude übergeben. Es beherbergt mehrere Sammlungen, neben den bereits erwähnten pathologisch-anatomischen Präparaten auch die Exponate aus dem elektropathologischen Museum, Ausstellungsstücke zum Apothekerwesen, eine Sammlung mit veterinärmedizinischen Präparaten, die „Wunderkammer eines Alchimisten“, Krankenschwestern-Medaillen und vieles mehr.

Gegenwart
In den Zellen, Nebenräumen und Gängen des Narrenturms, wo all dies archiviert und katalogisiert ist, wird der Platz knapp. Dazu kommt, dass der bauliche Zustand des Narrenturms mehr als bedenklich ist: „Unser größtes Problem ist derzeit, das Museum aufrechtzuerhalten und zu erreichen, dass es renoviert wird, da wir praktisch eine Bauruine sind“, sagt Narrenturm-Direktorin Dr. Beatrix Patzak.
Um diesen Mängeln abzuhelfen, unternimmt die Museumsleitung nicht nur zahlreiche Führungen durch das denkmalgeschützte Gebäude (mit stetig ansteigenden Besucherzahlen), sondern betreibt auch einen Shop, organisiert Veranstaltungen – unter anderem die erfolgreiche Sommerveranstaltungsreihe Tower of Power –, vermietet Räumlichkeiten als „Event-Location“ und betreibt den Verein der Freunde der pathologisch-anatomischen Museen Österreichs, dessen Mitgliedsgebühren ebenfalls der Erhaltung des Gebäudes zugute kommen.

Quelle: http://www.wien-konkret.at/kultur/museum/pathologisch-anatomisches-museum/ von der Autorin gekürzt.