Vergessene Wörter aus der Habsburgermonarchie
Tamara Scheer
Amalthea Signum Verlag
Wien 2019

Amalthea Signum Verlag
Wer Wörter liebt, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Zumal dann, wenn sie (wie ich) auch noch ein großes Interesse an der österreichischen Geschichte hat und altmodische Begriffe mag und – wenn möglich – auch verwendet. Tamara Scheer, eine österreichische Historikerin, entführt uns in diesem zauberhaften Buch auf eine Reise nach Altösterreich, eine Zeit, in der es noch einen Kaiser (und König – je nach Kronland) gab, in der das Militär eine unglaublich wichtige Rolle spielte und in dem das ganze Kaiserreich aus einer Unzahl von Nationen, Völkern und Sprachen bestand.
Eine kleine Auswahl gefällig?
Das Spektrum reicht von Galizien, das gerne auch als „Skandalizien“ bezeichnet wurde, geht über Dalmatien und Ungarn bis hin zu Bosnien und Kroatien. All diese Völker, aber auch die damals fest einzementierten Stände, hier ist wieder das Militär zu nennen, hatten eigene Sprachmuster, verwendeten Codes, mit denen sie sich einander als zugehörig zeigten und benützten eigens geschaffene Sprachen, um sich im Vielvölkerstaat verständlich machen zu können.
Im Rahmen ihrer Arbeit als Historikerin, die sich insbesondere mit der Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit in der habsburgischen Armee beschäftigte, sammelte Scheer immer mehr Wörter an, die damals in vielen Kreisen selbstverständlich, heute aber vollständig vergessen sind.
Wie das Schaf zum Reh wurde
Das dalmatinische Küstenreh schmeckt mir auch nicht – gemeint ist nämlich ein Schaf oder ein Hammel, der insbesondere in Dalmatien aber auch in anderen südosteuropäischen Ländern der Donaumonarchie häufig serviert wurde. Und weil die Tierchen in diesen Gegenden nicht in Herden gehalten wurden, sondern vereinzelt durch die Lande zogen, kam wahrscheinlich die Bezeichnung des „Küstenrehs“ zustande.
Frieden wird nicht angestrebt
Bertha von Suttner, die berühmte Friedensaktivistin, wurde in ihrer Zeit so gar nicht als positive Gestalt wahrgenommen. Dazu muss man wissen, dass die letzte Phase der Monarchie, etwa von 1900 bis 1914 – ein ausgesprochen hurrapatriotischer Zeitraum war, das Militär stellte eine unglaublich einflussreiche Gesellschaftsschicht dar – und alle träumten vom Krieg. Das war auch der Grund für die Einführung eines weiteren, wenig schmeichelhaften Begriffs für Bertha von Suttner: Sie wurde nämlich als „Friedensfurie“ bezeichnet.
Sprechen Sie Armeedeutsch?
Wer in den letzten Jahren des Habsburgerreiches beim Militär war, wurde häufig versetzt. Und in diesem Riesenreich konnte das nicht nur eine ganz andere Gegend, sondern natürlich auch eine neue Sprache bedeuten, die derjenige, den es an diesen neuen Ort verschlagen hatte, erlernen musste. Das war nicht leicht, zumal dann, wenn die Versetzungen so etwa alle drei Jahre erfolgten. Um sich verständlich machen zu können (im Habsburgerreich wurden mehr als elf Sprachen gesprochen) entwickelten die Militärs eine Kunstsprache, das sogenannte „Armeedeutsch“, mit dem man sich – zumindest radebrechend – überall verständlich machen konnte.
Mit dem spitzen Blaustift
Im ersten Weltkrieg, als das „alte Österreich“ noch nicht ganz versunken war, spielte die Zensur eine wesentliche Rolle. Briefe von der Front, aber auch Zeitungsartikel wurden streng zensiert, zum einen, damit keine „kriegswichtigen“ Erkenntnisse weitergegeben werden konnten, zum anderen aber auch aus einem vollkommen anderen Grund. Wenn nämlich die Zensorin (das waren meist Frauen, und auch dafür findet sich eine Erklärung im Buch) meinte, das Geschriebene sei unmoralisch, zückte sie ihren „Blaustift“ und schwärzte das Geschriebene – oder behielt es sogar gleich ganz ein. Als „Moralbrigade“ oder „Blaustiftdragoner“ wurden die Zensurdamen daher auch wenig schmeichelhaft bezeichnet. Und sogar höhere militärische Ränge wurden von der Moralbrigade nicht verschont. So fanden die Zensurdamen etwa die Briefe eines Generals an seine Geliebte „unmoralisch“ und behielten sie einfach ein.
„Von Friedensfurien und dalmatinischen Küstenrehen“ ist voll von solchen Geschichten und Geschichtchen aus einer Zeit, die längst vergangen ist und uns Nachgeborenen nur aus der Geschichtsforschung nähergebracht werden kann. Wer allerdings Freude an Geschichte hat, wer gern mit Wörtern spielt und deren Bedeutung entschlüsselt, für den stellt das vorliegende, hervorragend recherchierte Buch eine echte Bereicherung der hauseigenen Bibliothek dar.
Wien 2019