Probleme mit dem Sex? Fragen Sie Ihren Arzt…

… oder Ihre Ärztin mit sexualmedizinischer Grundausbildung – die erste „Generation“ feierte vergangenen Freitag ihren Abschluss. Die Organisatorin der sexualmedizinischen Grundausbildung der Akademie für Sexuelle Gesundheit, Dr. Elia Bragagna,  sprach von einem historischen Moment: Am Freitag vergangener Woche schlossen die ersten AbsolventInnen der Akademie für Sexuelle Gesundheit Ihre Ausbildung ab. Angesprochen wurden nicht nur GynäkologInnen – ÄrztInnen jeder Fachrichtung können diese sexualmedizinische Grundausbildung absolvieren.

Sexuelle Probleme sind häufiger, als so mancher/manche denkt. Doch: Wohin soll ich mich wenden? werden sich wohl viele fragen, denen ein solches Problem unter den Nägeln brennt. Denn das Wissen über die Zusammenhänge zwischen Sexualität, Gesundheit und Krankheit ist unter MedizinerInnen noch nicht allzu weit verbreitet. Eine Pionierin auf diesem Gebiet war und ist die Sexualmedizinerin Dr. Elia Bragagna. Sie gründete vor einem Jahr die Akademie für Sexuelle Gesundheit, die interessierten ÄrztInnen eine sexualmedizinische Basisausbildung anbietet. Vergangenen Freitag haben die ersten TeilnehmerInnen dieser sechsmonatigen Ausbildung ihr Zertifikat erhalten.

„Die Qualität der ärztlichen Aus- und Weiterbildung ist ein wichtiger Faktor in einem guten Gesundheitswesen“, sagte Gesundheitsminister Alois Stöger, diplôme anlässlich der Feierlichkeiten rund um die ersten AbsolventInnen der sexualmedizinischen Grundausbildung im Rahmen der Akademie für Sexuelle Gesundheit in Wien: „Eine fundierte sexualmedizinische Ausbildung kann Wesentliches für die Prävention von Folgeerkrankungen beitragen und ist deshalb mehr als begrüßenswert“, setzte der Gesundheitsminister hinzu.


Die glücklichen AbsolventInnen der ersten sexualmedizinischen Basisausbildung mit Lehrgangsleiterin Dr. Elia Bragagna (im roten Kleid). Bild: Laura Bragagna



35 Ärztinnen und Ärzte absolvierten in den vergangenen Monaten die sexualmedizinische Grundausbildung, die von der Sexualmedizinerin Dr. Elia Bragagna organisiert und von einem hochkarätigen ReferentInnen-Panel getragen wurde. (die Namen und Kontaktadressen der ÄrztInnen sind unter www.afsg.at zu finden)„Viele ÄrztInnen wissen nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen, weil sie dazu nicht ausgebildet wurden“, berichtet Bragagna ihre Motivation zur Erarbeitung des Lehrganges. „Dabei haben fast alle Krankheiten und psychosozialen Faktoren einen starken Einfluss auf das Sexualleben.“

Auch UrologInnen ansprechen

AllgemeinmedizinerInnen, GynäkologInnen,  eine Internistin und ein Chirurg gehörten zum Teilnehmerfeld, das innerhalb von sechs Monaten grundlegende sexualmedizinische  Kenntnisse zu Anatomie, Physiologie, Endokrinologie und Psychologie erhielt. Ein weiterer Schwerpunkt war die Darstellung der wichtigsten funktionellen sexuellen Störungen, sowie deren somato-psycho-soziale Ursachen und Therapierbarkeit. UrologInnen fanden den Weg leider noch nicht zur sexualmedizinischen Grundausbildung – das könnte  sich aber ändern, wie der Präsident des Berufsverbandes der österreichischen Urologen, Dr. Karl Dorfinger, im Rahmen der Abschlussveranstaltung festhielt.

Für Menschen, die unter sexuellen Problemen leiden, bedeutet diese neue Ausbildungsmöglichkeit für ÄrztInnen aller Fachrichtungen endlich die Möglichkeit, sich an kompetente Fachleute zu wenden. Denn viele Erkrankungen haben direkte oder indirekte Auswirkungen auf die Sexualität – das merken die PatientInnen – und das müssen ÄrztInnen wissen, um ihren PatientInnen auch in diesem Bereich hilfreich zur Seite stehen zu können.

Dorfinger vergleicht die Organisatorin der Ausbildung, Dr. Elia Bragagna, mit dem norwegischen Polarforscher Roald Amundsen: „Auch sie hat Pionierarbeit geleistet – auf dem Gebiet der Sexualmedizin.“ Seiner Ansicht nach neigen UrologInnen dazu, Sexualität allein wissenschaftlich und organisch zu betrachten, was der Grund dafür sein mag, dass bisher noch keine UrologInnen an der Grundausbildung teilnehmen wollten. „Ich glaube aber“, so setzte Dorfinger fort: „dass eine solide sexualmedizinische Ausbildung wichtig ist und unterstütze diese darum auch weiterhin.“

Lücke in der Ausbildung

Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern gibt es während des Medizinstudiums in Österreich keine sexualmedizinische Grundausbildung und auch keinen Ausbildungslehrgang zu diesem Thema. Aufgrund der starken Nachfrage nach einer Aus- und Weiterbildung auf diesem Gebiet, bietet die „Akademie für Sexuelle Gesundheit“ (AfSG) in Zusammenarbeit mit der „Deutschen Gesellschaft für Sexualmedizin und Sexualtherapie“ (DGSMT) ÄrztInnen eine sexualmedizinische Grundausbildung an. Diese kann mit geringem zusätzlichem Aufwand neben dem Arbeitsalltag besucht werden. Über 50 ReferentInnen aus allen medizinischen Fachrichtungen stehen der „Akademie für Sexuelle Gesundheit“ zur Verfügung.

Tabuthemen aufbrechen

Auch der Präsident des Berufsverbandes der GynäkologInnen, Dr. Michael Elnekheli, zeigte sich erfreut über die Initiative der Akademie für Sexuelle Gesundheit: „Eines der letzten Tabuthemen kann durch ärztliches Handeln dann aufgebrochen werden, wenn die Ärztin/der Arzt innerhalb der Sicherheit einer Ausbildung agieren kann“, schrieb Elnekheli in einer Grußadresse an die Akademie und die AbsolventInnen. „Eine gute Ausbildung ermöglicht der Ärztin/dem Arzt die nötige Offenheit im Erkennen, Ansprechen und Behandeln von Sexualstörungen.“

Netzwerke bilden

Dieser Ansicht ist auch seine Stellvertreterin, die Gynäkologin Dr. Doris Linsberger, Funktionärin der Niederösterreichischen Ärztekammer, tätig unter anderem im Fortbildungs- und Frauenreferat. „Diese Ausbildung hat sicherlich auch eine Signalwirkung gegenüber den PatientInnen, wir haben jetzt endlich die Chance, diese sensiblen Themen zu kommunizieren, die Ausbildung stellt einen Weg aus der Sprachlosigkeit bei diesem Thema dar.“ Die Frauenärztin hat die sexuelle Grundausbildung auch selbst absolviert: „Für mich ist vor allem die Interdisziplinarität der Ausbildung im Sinne und zum Wohle der PatientInnen“, führte sie weiter aus: „Ein solches Netzwerk ermöglicht eine Zusammenarbeit aller Fachgruppen für unsere PatientInnen.“

Dr. Elia Bragagna, Begründerin der Akademie für Sexuelle Gesundheit und Leiterin der sexualmedizinischen Grundausbildung zeigte sich am Freitag „sehr stolz darauf, dass TeilnehmerInnen aus ganz Österreich an der Ausbildung teilgenommen haben.“ Die engagierte Sexualmedizinerin hat vor allem versucht, den AbsolventInnen den Gedanken des vernetzten Arbeitens zu vermitteln versucht, denn „seriöse Sexualmedizin ist immer auch Netzwerkarbeit“, wie sie abschließend bemerkte.

Der älteste Teilnehmer dieser ersten sexualmedizinischen Grundausbildung war übrigens der Arzt und Psychotherapeut OMR Dr. Heinrich Wallnöfer. Der Mediziner, Pionier und Begründer der Österreichischen Gesellschaft für ärztliche Hypnose und Autogenes Training, erhielt im Rahmen der Diplomverleihung Standing ovations von seinen MitabsolventInnen. Wallnöfer wird heuer 90 Jahre alt.