Alzheimer: Zuhören, ernst nehmen, nicht überfordern

Mehr als 12.000 Mal wird in Österreich jedes Jahr die Diagnose Alzheimer-Demenz gestellt. Der behandelnde Arzt sieht sich mit der Mitteilung dieser Erkrankung vor eine Reihe von Herausforderungen gestellt.Sucht ein Patient mit Symptomen wie Vergesslichkeit, Wortfindungsstörungen und schlechter Orientierung seinen Hausarzt auf, so bestehen diese Beschwerden meist schon einige Zeit, manchmal mehrere Jahre. Neben einer nervenärztlich-klinischen Untersuchung, inklusive Überprüfung von Laborparametern und eines MRT des Gehirns zur differentialdiagnostischen Demenzabklärung , sollte der Verlauf mindestens ein halbes besser ein Jahr lang beobachtet werden, nur dann ist eine sichere Alzheimerdiagnose möglich: „Die klinische Diagnose Alzheimer hat eine Trefferquote von etwa 90 Prozent, die Beobachtung des Patienten und seines Krankheitsverlaufs sichert die Diagnose erst ab“, sagt Univ.-Prof. Peter Dal-Bianco, Leiter der Spezialambulanz Gedächtnisstörungen an der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Wien, AKH.


Der niedergelassene Arzt, der seine Patienten oft über viele Jahre kennt, sollte bei ersten Anzeichen einer demenziellen Erkrankung diesen an eine Nervenfachambulanz zur weiteren Abklärung zur Abklärung der Ursache überweisen. Dies sollte so früh wie möglich geschehen, um rasch eine Therapie einleiten zu können. Die umfangreiche Diagnostik in einer „Memory-Clinic“ umfasst die Patienten- und Fremdanamnese, einen neurologischen, psychopathologischen, internen Status, neuropsychologische Testung, bildgebende Verfahren (CT, besser MRT des Gehirns), die Abklärung vaskulärer Risikofaktoren und eine umfangreiche Laboruntersuchung. „Der Mini-Mental-Test, der von Allgemeinmedizinern für eine erste Abklärung zu Recht eingesetzt wird, bietet im Frühstadium der Erkrankung allerdings noch keinen genauen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Alzheimer-Demenz“, erläutert Univ.-Prof. Elisabeth Weiss, Leiterin der Memory Clinic an der Universitätsklinik für Allgemeine Psychiatrie und Sozialpsychiatrie der Medizinischen Universität Innsbruck. „Die umfassende Diagnostik, die in einer Memory Clinic angeboten wird, umfasst etwa drei Stunden, das ist in einer Praxis für Allgemeinmedizin nicht zu leisten“, hält Elisabeth Weiss fest.


Patienten selten schockiert

Die Übermittlung dieser Diagnose an den Patienten ist für die meisten Betroffenen kein Schock: „Die Patienten befinden sich oft in einer quälenden Unsicherheit, für die ist die Diagnose ein Stück Erleichterung, weil sie endlich wissen, was mit ihnen los ist“, hält Elisabeth Weiss im Gespräch mit der Ärztezeitung fest. Häufig sind es Angehörige des Betroffenen, die verhindern wollen, dass der Patient von seiner Erkrankung erfährt. In der Literatur ist nachzulesen, dass – je nach Art der Befragung – zwischen 26 und 82 Prozent der Befragten nicht möchten, dass dem Patienten die Diagnose mitgeteilt wird. Das ist allerdings nicht möglich, nur der Patient selbst kann die Aufklärung über seinen Gesundheitszustand verweigern. „Häufig sind nicht die Patienten, wohl aber die Angehörigen durch die Diagnose Alzheimer entsetzt“, weiß auch Peter Dal-Bianco. „Wichtig ist die Mitteilung, dass es sich bei dieser Erkrankung um eine langsam progrediente, nicht lebensbedrohende Erkrankung handelt“, so Peter Dal-Bianco. Das Gespräch mit dem Patienten und den Angehörigen sollte patientenzentriert geführt, auf nonverbale Signale dabei besonders geachtet werden: „Wie viel will der Patient wissen?“ ist laut Elisabeth Weiss dabei ein wichtiger Parameter: „Der Betroffene soll nicht mit einer Riesenmenge Information überfordert werden.“


Arzt ist Vertrauensperson

Am häufigsten wird die Diagnose Alzheimer-Demenz in den Stadien 3 und 4 nach Reisberg gestellt (siehe Kasten). Zu dieser Zeit merken sowohl Patient als auch Angehörige, „dass etwas nicht stimmt“, wie es Peter Dal-Bianco ausdrückt. Der Patient ist allerdings durchaus noch einem ärztlichen Gespräch zugänglich. Nach der Abklärung durch den Facharzt werden die meisten Alzheimer-Patienten, die zu Hause betreut werden (das sind rund 80 Prozent der Erkrankten), weiter von ihrem niedergelassenen Allgemeinmediziner betreut, der sich in der Kommunikation dem Verlauf der Erkrankung anpassen muss. „Am Beginn der Erkrankung stehen oft Wortfindungsstörungen, der Patient versucht, über einfache Floskeln über seinen Zustand hinweg zu täuschen“, weiß Memory-Clinic-Leiterin Elisabeth Weiss. Später nimmt das Sprachverständnis insgesamt ab: „Der Patient versteht nicht mehr, was gesprochen wird, beginnt sich zurück zu ziehen oder verstummt“, so Elisabeth Weiss. Umso wichtiger ist eine patientenzentrierte Kommunikation die vor allem, so Peter Dal-Bianco, „den Patienten ernst nimmt.“ Für den Neurologen gilt: „Der Arzt muss eine wichtige Vertrauensperson des Patienten bleiben – und das geht nur, wenn der Selbstwert des Patienten und der Respekt unangetastet bleibt.


In späteren Stadien der Erkrankung, wenn eine verbale Kommunikation nicht mehr möglich ist, kommen nonverbale Kommunikationsformen ins Spiel, um mit dem Patienten in Kontakt zu bleiben. „Man sollte Blickkontakt halten, lächeln, nicken – positive Signale senden“, erklärt Elisabeth Weiss. „Auch Körperkontakt ist wichtig, die Fähigkeiten zur nonverbalen Kommunikation bleiben am längsten erhalten. Die Methode der Validation nach Naomi Feil ist eine ausgezeichnete Möglichkeit der Kommunikation mit Alzheimer-Patienten im späten Krankheitsstadium Symptome lindern.


Auch wenn bereits vielversprechende Studien mit neuen Medikamenten laufen – auf absehbare Zeit ist mit einer Heilung der Erkrankung Alzheimer-Demenz nicht zu rechnen. Wohl aber kann, eine rechtzeitige Therapie vorausgesetzt, die Symptomatik gelindert, das Fortschreiten der Erkrankung aber nicht verlangsamt werden. „Antidementiva sind vor allem im frühen und mittleren Krankheitsstadium erfolgreich“, sagt Elisabeth Weiss. Die Behandlung muss mit einer niedrigen Dosierung begonnen und langsam hochtitriert werden, um Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten. Dies gilt auch für andere Medikamente, die für Begleiterkrankungen der Alzheimer-Demenz zum Einsatz kommen, wie etwa Depressionen, Angstzustände, Schlaflosigkeit, psychotische Symptome und Aggressivität. „Start slow – go slow“ heißt die Devise, um den veränderten Metabolismus älterer Menschen Rechnung zu tragen und eventuelle Interaktionen mit anderen Medikamenten so gering wie möglich zu halten. Die geringe Dosis und langsame Steigerung gelten insbesondere für Neuroleptika, die ins Kreuzfeuer der Kritik kamen, als Todesfälle unter Alzheimer-Patienten nach Antipsychotika-Gabe bekannt wurden. „Die Dosis darf nur einen Bruchteil jener Dosis betragen, die etwa in der Therapie für Psychosen eingesetzt wird“, hält Peter Dal-Bianco fest. „Diese Medikamente sind allerdings sehr hilfreich, vor allem dann, wenn Patienten sehr aggressiv sind, was die Betreuer sehr schnell an ihre Grenzen bringt.“


Den Stress und die psychische Belastung, unter dem Angehörige von Demenzpatienten stehen, sollte auch der behandelnde Arzt immer im Blick haben. „Man soll der betreuenden Person immer wieder sagen, dass sie Hilfe annehmen soll und entsprechende Hilfsangebote übermitteln“, so Peter Dal-Bianco abschließend: „Die Angehörigen müssen die Möglichkeit bekommen, immer wieder Kraft zu schöpfen, um ihre schwierigen Aufgaben über längere Zeit leisten zu können.“