Neuropathischer Schmerz: unterdiagnostiziert und falsch behandelt

Etwa 262.000 Menschen in Österreich leiden, Schätzungen zufolge, an neuropathischen Schmerzen. Eine suffiziente Behandlung erhält allerdings nur ein Drittel der Betroffenen. Rund fünf ÄrztInnen werden aufgesucht, bevor die korrekte Diagnose gestellt wird.„Es ist erschreckend, dass zur Behandlung neuropathischer Schmerzen immer noch häufig nichtsteroidale Antirheumatika eingesetzt werden”, kritisierte Doz. Dr. Rudolf Likar von der Abteilung für Anästhesie und allgemeine Intensivmedizin an der interdisziplinären Schmerzklinik Klagenfurt im Rahmen eines Vortrags zum Thema „Neuropathischer Schmerz” anlässlich der Südbahnschmerzgespräche*. „NSAR sind bei neuropathischem Schmerz unwirksam.” Dazu kommt die hohe Frequenz von Komorbiditäten bei den PatientInnen, die unter neuropathischem Schmerz leiden. Die Schmerzsymptomatik geht mit Schlafstörungen, Angst und Depressionen einher: „Diese Komorbiditäten sind oft schlecht oder gar nicht diagnostiziert und werden dementsprechend auch nur unzureichend behandelt”, so Likar weiter.

Vermeidbarer Schmerz
Die Ursachen für neuropathischen Schmerz sind vielfältig. Sie reichen von Radikulopathien, über chronische Wurzelreizsyndrome, Plexuverletzungen und regionalen Schmerzsyndromen bis hin zu ZNS-Erkrankungen. Unterschieden wird peripherer oder zentraler neuropathischer Schmerz. Periphere Neuropathien können endokrin oder toxisch bedingt sein. Weitere Auslöser für neuropathischen Schmerz sind inoperable oder voroperierte Engpassyndrome. Nach Amputationen kommt es in 30 bis 81 Prozent aller Fälle zu neuropathischen Stumpf- bzw. Phantomschmerzen, ein Risiko, dass „mit einer Epiduralanästhesie auf 10 Prozent verringert werden kann, während es unter Allgemeinanästhesie rund 50 Prozent beträgt”, erläuterte Likar.

Glühendes Messer
Beschrieben wird der neuropathische Schmerz von den Betroffenen durchwegs als sehr belastend. „Ein Patient sagte mir, es fühle sich an, als würde ein glühendes Messer unter der Haut bewegt”, so Likar drastisch. Neuropathischer Schmerz äußert sich mit brennenden, dumpfen Schmerzen, die anfallsartig einschießen können. Häufig ist der Schmerz von neurologischen Symptomen begleitet. Dazu gehören Hypo- oder Hyperästhesie, Parästhesie, Hyperalgesie und Allodynie. „Schon wegen des komplexen Krankheitsbildes ist eine umfassende Diagnose mit exakter Schmerzanamnese zur suffizienten Schmerzbehandlung unumgänglich”, hielt Likar fest. Neben der Schmerzananmese müssen die individuellen Pathomechanismen erfasst und analysiert werden. Wenn immer möglich, sollte die Therapie kausal erfolgen. Ist dies nicht möglich, ist eine symptomatische Schmerztherapie indiziert.

Reichliche Auswahl
Zur Behandlung neuropathischer Schmerzzustände steht mittlerweile eine große Palette verschiedener Substanzen zur Verfügung. Sie reicht von Opioiden über Antidepressiva und Antikonvulsiva bis hin zu Kortikosteroiden und Neuroleptika. Nichtopioid-Analgetika sind bei neuropathischem Schmerz wirkungslos. (siehe Kasten). „Je nach Ursache des neuropathischen Schmerzes ist es sinnvoller, ein Antidepressivum oder ein Antikonvulsivum einzusetzen”, sagte Likar. So wirken etwa bei Postzoster Neuralgie die tricyclischen Antikonvulsiva besser als Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer und Noradrenalin – Wiederaufnahmehemmer besser als selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Bei Fibromyalgie hat sich Duloxetin über die ersten vier Behandlungswochen als gut wirksam erwiesen, die Wirkung nimmt allerdings mit der Behandlungsdauer ab.
Werden Antikonvulsiva zur Therapie des neuropathischen Schmerzes eingesetzt, ist, so Likar, Pregabalin der Vorzug zu geben: „Es wirkt nicht nur analgetisch, sondern auch anxyolitisch und verbessert die Schlafqualität”, so Likar. „Allerdings befindet sich das Medikament im Erstattungskodex derzeit in der gelben Box und darf nur von Psychiatern und Neurologen und Schmerzzentren verordnet werden.”

Keine Angst vor Opioiden
Leiden PatientInnen dauerhaft an massiven Schmerzzuständen, sollte auch an eine Behandlung mit potenten Opioiden gedacht werden. „Es wirkt schnell und anhaltend und weist keine Organschädigung auf”, fasste Likar die Vorteile einer Opioidbehandlung zusammen. Jedenfalls sei das oberste Gebot einer lege artis durchgeführten Schmerzbehandlung eine optimale Schmerzlinderung bei möglichst geringen Nebenwirkungen. Ein exaktes Monitoring – gerade auch des älteren Patienten – trägt zusätzlich zu einer erfolgreichen Therapie bei.