EMS-Test: Bedarf an Reflexion

Für diesen Beitrag wurde ich von der Deutschen Gesellschaft für Evaluation mit dem Medienpreis 2009 ausgezeichnet.

Vor der Einführung des EMS-Tests (Eignungstest Medizin-Studium) lag der Anteil der Frauen bei den Studienanfängern über 50 Prozent – seither sinkt diese Rate. Die Meinungen über die Ursachen dafür gehen auseinander.

Der EMS-Test ist nicht unfair”, konstatiert Univ. Prof. Rudolf Mallinger, Vizerektor an der Medizinischen Universität Wien. „Er ist die fairste Methode, um objektiv bestimmte Eigenschaften zu messen, die für ein Medizinstudium notwendig sind.” Ein wenig anders sieht das Univ. Prof. Barbara Schober vom Institut für Bildungspsychologie und Evaluation an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien: „Es gibt schon Hinweise darauf, dass der EMS mit Blick auf das Geschlecht nicht ganz fair ist.” Schober ist Mitautorin der Studie „Evaluation der Eignungstests für das Medizinstudium in Österreich”.

Lag die Zahl der Studien-Anfängerinnen vor Einführung des EMS schon seit mehreren Jahren weit über 50 Prozent, so ist diese mit Einführung des Testverfahrens deutlich abgesunken. Seit den ersten Zulassungstests im Jahr 2006 ist die Zahl der Studienanfängerinnen von mehr als 50 Prozent auf 45 Prozent (2006) beziehungsweise 46 Prozent (2007) gesunken. Beworben hatten sich jeweils weit mehr als 55 Prozent Frauen für die vorhandenen Studienplätze.
Schneller raten hilft
Mögliche Ursachen für die deutliche Schlechterstellung von Frauen im Rennen um die vorhandenen Studienplätze für Humanmedizin wurden in einer Studie des Instituts für Wirtschaftspsychologie, Bildungspsychologie und Evaluation, unter der Leitung von Univ. Prof. Christine Spiel und Kolleginnen untersucht. Mehrere Faktoren für ein schlechteres Abschneiden von Frauen konnten aufgezeigt werden: „Frauen schneiden beispielsweise häufig in Speed-Power-Tests schlechter ab”, erläutert Barbara Schober. Bei Multiple Choice-Tests zögern Frauen außerdem länger, bis sie raten – auch das ein Faktor, der das schlechtere Abschneiden mitbedingt. Zur Erklärung: Wenn bei einem Multiple Choice-Test wie dem EMS fünf Antworten vorgegeben sind, von denen eine richtig ist, liegt die Wahrscheinlichkeit, die richtige Antwort zu erraten, bei 20 Prozent. „Wer also schneller rät, hat einen Wettbewerbsvorteil”, hält Schober fest. Jenseits der Ratewahrscheinlichkeit betont Schober jedoch auch einige grundsätzliche testmethodische Mängel des EMS, die es zu reflektieren gilt. So zeigte die Evaluationsstudie beispielsweise Probleme der Test-Ökonomie sowie der Trennschärfe vieler Aufgaben auf. Diese betrifft die Differenzierungsfähigkeit zwischen Personen, die insgesamt gut oder weniger gut abschneiden. Nicht zuletzt lässt das sehr eingeschränkt abgefragte Anforderungsprofil Frauen schlechter abschneiden: „Es werden hauptsächlich Fragen aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich gestellt”, so Schober. „Soziale Kompetenzen, die für den Arztberuf unbedingt notwendig sind, werden zum Beispiel nicht geprüft.”
Gender-ungerechte Schulen
Vizerektor Mallinger sieht die Ursachen für das schlechtere Abschneiden von Frauen beim Zulassungstest für das Medizinstudium nicht im Test, sondern vielmehr in der schulischen Ausbildung in den Sekundarstufen: „Frauen werden in den Schulen weniger gut auf derartige Zulassungstests vorbereitet”. Dieser Meinung ist auch Psychologin Barbara Schober: „Mädchen zeigen bei gleichen Schulnoten in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern schlechtere Leistungen im EMS”, sieht auch sie ein Problem im Vorfeld der Zulassungstests. „Mädchen werden offenbar für andere Dinge benotet.”
Verstärkte Beratung
Um diese Situation zu entschärfen, hat die Medizinische Universität Wien eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt. Rudolf Mallinger: „Wir haben unsere Beratungstätigkeiten an den Mittelschulen stark intensiviert.” Vertreter der Medizinuniversität haben die Landesschulräte in Wien und Niederösterreich besucht, über die Testverfahren informiert, und Informationsmaterial verteilt. „Wir stellen Unterlagen zur Verfügung, die es den Schulen erlauben, das Testverfahren zu organisieren und unter Echtzeitbedingungen mit interessierten Schülerinnen und Schülern durchzuführen”, so Mallinger. Auch bei der Anmeldung zum Zulassungstest wurde die Beratung intensiviert.
Anforderungsprofil reflektieren
Für Barbara Schober, eine der Autorinnen der Studie „Evaluation der Eignungstests für das Medizinstudium”, sind die beschriebenen Maßnahmen als kurzfristige Hilfe sinnvoll (siehe Unten). „Langfristig wäre allerdings eine Reflexion des Anforderungsprofils für das Medizinstudium wichtig”, so Schober, die den starken Focus auf mathematisch-naturwissenschaftliche Themen in Frage stellt: „Ist es wirklich legitim, angehende MedizinerInnen, die eine extrem gute soziale Kompetenz benötigen, nur auf den mathematisch-naturwissenschaftlichen Themenkomplex zu reduzieren?”. Auch Rudolf Mallinger sieht das Problem, wenn er meint: „Wir wollen den EMS weiterentwickeln, aber das kann kein „Schuss aus der Hüfte” sein.” In Zukunft sollen auch soziale Kompetenzen mit Hilfe des EMS abgefragt werden, derzeit wird ein Verfahren das international zum Einsatz kommt geprüft. „Dabei werden über Video den Testteilnehmern soziale Situationen vorgestellt und im Anschluss Fragen gestellt”, so Mallinger. Wann dieser Bereich in den EMS Eingang finden wird, ist allerdings noch unklar. Die intensivierte Beratungsarbeit der Medizinischen Universität Wien dürfte allerdings bereits erste Früchte getragen haben: 2008 wurden 48,9 Prozent der Studienplätze an Frauen vergeben.
EMS-Test

Der EMS-Test (Eignungstest für das Medizinstudium), der an den Medizinischen Universitäten Wien und Innsbruck als Auswahlverfahren für Studienbewerber eingesetzt wird, beruht auf dem deutschen Test für medizinische Studiengänge (TMS) und besteht aus zehn Unter-Tests mit insgesamt 198 Aufgaben. Die Untertests umfassen folgende Bereiche:
• Schlauchfiguren (Räumliches Vorstellungsvermögen
• Testverständnis (Verarbeitung von komplexem Testmaterial)
• Planen und Organisieren (effiziente Selbstorganisation im Studium)
• Medizinisch-naturwissenschaftliches Grundverständnis (Verständnis für Fragen der Medizin und der Naturwissenschaften)
• Figuren lernen (Wahrnehmen und Einprägen von visuell dargebotenen Einzelheiten)
• Fakten lernen (Einprägen von Fakten)
• Muster zuordnen (Ausschnitte in einem komplexen Bild wieder erkennen)
• Diagramme und Tabelle (Analyse und Interpretation von Diagrammen und Bildern)
Empfehlungen für kurzfristige Maßnahmen
• Simulation der Testsituation in Schulen
• Die Bewerber sollen nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Vorbereitung und auf die Durchführung von Probeläufen unter Echtzeitbedingungen hingewiesen werden.
• Die Bewerber sollten angeregt werden, Bücher mit medizinisch-naturwissenschaftlicher Thematik zu lesen, um damit eine größere Vertrautheit mit den Inhalten der Aufgaben zu erreichen.
Quoten werden immer wichtiger

10.735 Personen haben sich heuer für ein Medizinstudium registriert (15 Prozent plus gegenüber 2008). Knapp 40 Prozent der Bewerber kommen aus dem EU-Ausland – die Mehrzahl davon aus Deutschland. An der Medizinischen Universität Innsbruck haben sich 2.878 Personen angemeldet, das sind um 434 Bewerber mehr als im Vorjahr (plus 15 Prozent). 1.601 Frauen und 1.277 Männer haben sich um einen Studienplatz beworben. 1.774 Bewerber kommen aus dem Ausland, 1.710 dieser Bewerber sind Deutsche – ein Plus gegenüber dem Vorjahr von 13 Prozent.

360 Studienplätze für Humanmedizin und 40 Studienplätze für Zahnmedizin stehen in Innsbruck für das Wintersemester 2009/10 zur Verfügung. Die seit 2006 geltende Quotenregelung sieht vor, dass 75 Prozent der Studienplätze an österreichische Bewerber gehen müssen.
20 Prozent sind für Bewerber aus dem EU-Ausland reserviert, fünf Prozent für Studierwillige aus anderen Ländern. In den letzten Jahren haben die deutschen Bewerber im Aufnahmetest übrigens deutlich besser abgeschnitten als die Österreicher.

Das Aufnahmeverfahren fand heuer für alle drei Medizinuniversitäten (Wien, Graz, Innsbruck) am 3. Juli statt. Und auch heuer wieder bewarben sich 55 Prozent Frauen, aber nur 45 Prozent Frauen wurden zum Medizinstudium zugelassen.