Pädiatrische Onkologie: Hohe Heilungsraten…

…aber Probleme bleiben. Mit avancierten Behandlungsprotokollen, einer intensiven Chemotherapie, schonenden Operationsmethoden sowie einer umfassenden Nachsorge hat sich die Prognose kindlicher Krebserkrankungen in den vergangenen 30 Jahren stark verbessert.

Rund 250 Kinder im Alter zwischen Null und 18 Jahren erkranken in Österreich jedes Jahr an Krebs. Am häufigsten tritt die akute lymphoblastische Leukämie (27 %) auf, gefolgt von Hirntumoren (22 % siehe Kasten 1). Der Bogen der Häufigkeit des Auftretens der Erkrankungen spannt sich von akuten lymphoblastischen Leukämien, die sich vor allem im Kleinkindesalter manifestieren und Knochentumoren, wie das Osteosarkom und das Ewing-Sarkom, von denen eher Jugendliche betroffen sind. „50 Prozent aller bösartigen Neoplasien treten in den ersten fünf Lebensjahren auf”, sagt der ärztliche Leiter des St. Anna Kinderspitals in Wien, Univ.-Prof. Helmut Gadner im Gespräch mit der Österreichischen Ärztezeitung.

Behandlungsbeispiel Leukämie
Die Diagnose der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) wird durch eine Knochenmarkspunktion gesichert. „Weiters ist – zur Abklärung eines eventuellen ZNS-Befalls – eine Lumbalpunktion durchzuführen”, erläutert Helmut Gadner. Die Beurteilung der Knochenmarksausstriche sowie die Immun-Phänotypisierung sichern die Diagnose. Zusätzlich werden die ALL-Blasten zyto- und molekulargenetisch analysiert. „Damit können wir verschiedene Subtypen der Erkrankung erfassen und auch die klonspezifischen individuellen Rearragements der T-Zell Rezeptoren und Immunglobulin-Gene, die für die Leukämieentstehung verantwortlich sind, identifizieren “, so Gadner. Die Kenntnis der individuellen Rearrangements erlaubt mittels der „Polymerase Kettenreaktion (PCR)” den molekulargenetischen Nachweis einer minimalen leukämischen Resterkrankung (MRD) zu definierten Zeitpunkten (Tag 33 und 78) im Therapieverlauf quantitativ mit einer Sensitivität von 10-4 bis 10-5 zu erfassen und eine frühzeitige Prognose- Abschätzung vorzunehmen. Diese Daten ermöglichen auch die Festlegung eines individuellen Behandlungsplans zu einem frühen Zeitpunkt nach Therapiebeginn). „Sind bei beiden Untersuchungszeitpunkten weniger als 10-4 Blasten vorhanden, so sind die Heilungschancen ausgezeichnet”, hält Gadner fest.

Nach Sicherung der Diagnose und Abschluss der molekularbiologischen Testverfahren, wird eine über zwei Jahre laufende Chemotherapie eingeleitet. Am Beginn der Behandlung steht eine einwöchige Cortisontherapie, um die Zelllast vorsichtig zu reduzieren. Zusätzlich wird am ersten Behandlungstag intrathekal Methotrexat verabreicht, um eine mögliche Tumoraussaat im ZNS zu vernichten. Schlägt diese Behandlung innerhalb einer Woche an, was mittels Blastenzählung festgestellt wird, ist dies der erste Hinweis auf einen günstigen Heilungsverlauf. Es folgt eine vierwöchige stationäre Chemotherapie mit Vicristin, Daunorubicin, Asparaginase und Cortison, gefolgt von einer zweiten Phase der Intensiv-Chemotherapie (ebenfalls vier Wochen) mit Cyclophosphamid (CPM), 6-Mercaptopurin (MP), Cytarabin (ARA-C) sowie Methothrexat (MTX i.th.). Am Tag 33 wird bei 98% der Patienten eine morphologische Remission im Knochenmark (KM) festgestellt. Die Erfassung der MRD im KM zur Woche 5 und 12 ermöglicht eine Stratifizierung in verschiedene Risikogruppen (Standard-,mittleres und hohes Risiko) und dadurch eine frühzeitige individuelle Anpassung der Therapieintensität sowie Eröffnung einer wahrscheinlichen Heilungschance. „Sind zum Tag 33 und 78 weniger als 10-4 Leukämiezellen im KM bei Standardrisiko nachweisbar, können wir nach Protokoll-gerecheter Fortsetzung der Therapie mit einer Heilungschance von 95 bis 98 Prozent rechnen”, so Gadner.

Je nach Risiko folgen weitere zwei bis acht Blocktherapien mit einer Kombination mehrerer Chemotherapeutika. Fällt ein Patient in die Hochrisikogruppe, wird nach schon nach 4-6 Blöcken Chemotherapie eine allogene Stammzelltransplantation durchgeführt.

Eine Strahlentherapie erfolgt nur noch bei Hochrisikopatienten, bei denen die Heilungschancen nur zwischen 30 und 40 Prozent liegt. Diese früher – wegen ihrer lang anhaltenden Nebenwirkungen – gefürchtete Therapie – wird mittlerweile schonend mit einer geringen Strahlungsdosis von 12 Grey durchgeführt.

Die Behandlung der akuten lymphoblastischen Leukämie basiert auf der ALL-BFM 2000 – Therapieoptimierungsstudie, an der 70 Kliniken in Österreich, Deutschland und der Schweiz zum Zwecke der Verbesserung der Prognose bei dieser Erkrankung teilnehmen. Damit konnte die Heilungsrate bisher auf 85 Prozent verbessert werden.

Gehirntumoren
Die häufigsten soliden Tumoren im Kindesalter sind die Gehirntumoren. Gehirntumoren sind die zweithäufigsten Krebserkrankungen bei Kindern, wobei das Tumorspektrum sehr groß ist. Ein Mensch von 2000 erkrankt im Laufe seiner Kindheit oder Jugend an einem Gehirntumor. 40 Prozent der Tumoren sind in der hinteren Schädelgrube lokalisiert. Ebenfalls häufig sind Lokalisationen an der Mittellinie. 50 Prozent der Tumoren sind Atrozytome, 20 Prozent Medulloblastome, 10 Prozent Ependynome.

Die Diagnostik stützt sich auf bildgebende Verfahren zur Abklärung des Tumors. Die Behandlung nach durchgeführter Operation richtet sich nach der Histologie und dem Tumorstaging. Neben der Chirurgie kommen vor allem bei höhergradigen Tumoren Chemotherapie und Radiotherapie zum Einsatz. „Eine Ausnahme ist beispielsweise das diffuse Pons-Gliom, ein Tumor, der radiologisch zu einer Auftreibung am Hirnstamm führt, exzessiv-infiltrativ ist und eine absolut infauste Prognose hat”, erläutert Univ.-Prof. Thomas Czech, stv. Leiter der Universitätsklinik für Neurochirurgie an der Medizinischen Universität Wien. Der Tumor ist nicht operabel und kann allenfalls mittels Chemo- und Radiotherapie verkleinert, die Symptomatik damit für eine Weile verbessert werden.

Chirurgie
Die Chirurgie zur Entfernung von resezierbaren Tumoren hat in den vergangenen Jahren entscheidend von der Verbesserung der bildgebenden Verfahren profitiert. Strukturelle, funktionelle und metabolische Bildgebung ermöglichen die exakte Darstellung der Tumorlokalisation, der -größe und der Stoffwechselaktivität. „Die Daten aus der Bildgebung können wir über Navigation direkt in den OP-Situs umlegen”, so Thomas Czech. „Außerdem profitieren wir von der Möglichkeit der histologischen Schnellschnittdiagnostik, die eine rasche Vorinformation über die Art des Tumors ermöglicht, und damit die Operationstaktik beeinflusst”, so Czech weiter.

Chemotherapie
Die Chemotherapie spielt aus mehreren Gründen eine tragende Rolle in der Behandlung von Gehirntumoren. Zum einen stellt sie einen integralen Behandlungsbaustein bei malignen Tumoren dar, nach weitestmöglicher Resektion dar. Insbesondere bei Kindern unter drei Jahren kommt ihr eine zentrale Rolle zu, um die sonst notwendige Radiotherapie aufschieben zu können, bis die Kinder das dritte Lebensjahr überschritten haben, um Entwicklungsverzögerungen und Schäden am ZNS möglichst zu vermeiden. Auch bei sogenannten niedergradigen Gliomen, welche aufgrund ihrer Wachstumsform nicht resektabel sind (Chiasma-Opticum, bzw. Hypothalamus) kommt einer adaptierten Chemotherapie bei jüngeren Patienten eine wichtige Rolle vor der Strahlentherapie.

Radiotherapie
„Die Strahlentherapie wird genau an die jeweilige Situation angepasst”, erläutert Czech. „Histologie, Ausdehnung des Tumors und Zustand des Patienten spielen in der Behandlungsplanung eine wesentliche Rolle.” Neue Applikationsformen der fraktionierten Strahlentherapie ermöglichen ein schonendes Vorgehen. Die intensitätsmodulierte Strahlentherapie erlaubt eine subtile Planung, um Langzeitschäden möglichst zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten. „In seltenen Fällen besteht auch die Möglichkeit einer Einzeldosisstrahlentherapie”, sagt Czech. Auch in diesem Bereich haben die bildgebenden Verfahren eine wesentliche Verbesserung der Planung und Durchführung ermöglicht. Für die Zukunft schätzt Czech, dass die Protonenstrahlentherapie und die Schwerionentherapie eine immer wichtigere Rolle zur Therapie der Gehirntumoren spielen werden. „Damit kann bei Kindern, etwa bei Vorliegen eines Rückenmarksprozesses das Gewebe der umliegenden Organe geschont werden.” In Niederösterreich ist derzeit ein Therapiezentrum in Planung, das derartige Verfahren auch bei Kindern ermöglichen soll.

In die Möglichkeiten der targeted therapy, die derzeit bei Erwachsenen mit bestimmten onkologischen Erkrankungen bereits erfolgreich eingesetzt wird, setzen beide befragten Experten große Hoffnungen. „Bisher liegen allerdings nur Phase I -und II-Studien zum Einsatz dieser Substanzen bei Kindern vor”, erläutert Thomas Czech. Und Helmut Gadner ergänzt: „Wir haben uns innerhalb Europas zu einem Netzwerk zusammen geschlossen, um gemeinsame Studien zu diesen neuen Substanzen durchführen zu können.”

Kasten 1: Die häufigsten Krebserkrankungen bei Kindern
Lymphome – 12 %
Tumoren des sympathischen Nervensystems – 8 %
Weichteilsarkome – 6 %
Nephroblastome – 5,5 %
akute myeloische Leukämien – 5 %
maligne Knochentumoren – 4,5 %
Keimzelltumoren – 3,5 %
chron. myeloische Leukämien und myelodysplastische Erkrankungen – 2 %
epitheliale Neoplasmen – 1,5 %
Lebertumoren – 1 %