Sexueller Missbrauch: Opfer nicht überfordern!

Wer den Verdacht auf Missbrauch bei einem Kind oder Jugendlichen hegt, sollte von übereilten Aktionen Abstand nehmen. Wichtig: Informieren, Unterstützung holen, vernetzen. Der zweite Teil unserer Serie beschäftigt sich mit der richtigen Hilfestrategie und Opferschutzeinrichtungen in Österreich.


Es ist wohl eine der schwierigsten Situationen, vor denen eine Ärztin/ein Arzt stehen kann: Ein Kind oder ein Jugendlicher kommt in die Praxis, und der behandelnde Arzt hegt den Verdacht auf sexuellen Missbrauch oder Gewalt in der Familie. Der erste Reflex ist wohl, das Kind zu schützen und so rasch wie möglich zu helfen. Übereilte Aktionen können aber sehr schnell zum gegenteiligen Effekt führen: „Eine zu rasch angebotene Unterstützung wird häufig nicht unbedingt als positiv erlebt”, berichtet DSA Bettina Weidinger, pädagogische Leiterin des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema im Wiener Haus der Ärzte. „Behutsames Vorgehen ist wichtig – und manchmal muss auch akzeptiert werden, dass das Angebot zur Hilfe einfach zum falschen Zeitpunkt kommt.”

Schnelle Hilfe ist keine Hilfe
Auch übereilte Hilfsaktionen können extrem kontraproduktiv sein. In einem Beispiel schildert Weidinger eine Lehrerin, der eine Schülerin anvertraut hatte, dass sie in der Familie sexuell missbraucht werde. „Die betroffene Lehrkraft meldete dies der Direktion, die die Polizei verständigte”, berichtete Weidinger: „Die Polizei vernahm das Kind, das – aus Angst – natürlich keine Aussage machen wollte.” Das Ende vom Lied: Der Anzeige konnte nicht nachgegangen werden, das Kind verblieb in der Familiensituation – „und es wird sich wahrscheinlich hüten, jemals wieder eine Andeutung zu machen”, so Weidinger.

Unterstützung suchen
Sexualpädagogin Weidinger rät ÄrztInnen, aber auch Lehrkräften, die den Verdacht auf sexuellen Missbrauch hegen, sich zu aller erst einmal Hilfe zu holen. Es kann etwa sinnvoll sein, sich an eine Kinderschutzeinrichtung zu wenden, den Verdacht zu schildern und das weitere Vorgehen zu besprechen. In jedem österreichischen Bundesland sind Kinderschutzzentren eingerichtet, die ebenfalls Beratung und Hilfeleistungen anbieten. Auch die Ämter für Jugend und Familie stehen Vertrauenspersonen gern mit Rat und Tat zur Seite. Problematisch ist allerdings, dass die Jugendämter in Österreich nur bis 16 Uhr erreichbar sind. „Eine Servicetelefonnummer, die bis 18 Uhr erreichbar ist, erteilt erste Informationen und leitet an das entsprechende Jugendamt weiter”, erläutert Bettina Weidinger (siehe Kasten).

Sofortige Hilfeleistung ist allerdings dann notwendig, wenn eine akute Gewalt- oder Missbrauchssituation ein Einschreiten erforderlich macht. In einem solchen Fall sollten jedenfalls Polizei und Jugendamt verständigt werden. In der Abteilung für Kinder- und Jugendgynäkologie des Allgemeinen Krankenhauses Wien werden akut bedrohte und missbrauchte Kinder zum Schutz auch stationär aufgenommen. Auch die Unterbringung von Mutter und Kind im Frauenhaus ist möglich: „Frauenhäuser sind auch Kinderschutzeinrichtungen”, weiß Bettina Weidinger. „Auch dann, wenn die Mutter selbst nicht von Gewalt betroffen ist, kann sie mit ihrem Kind Schutz in einem Frauenhaus suchen.”

Prozessbegleitung
Ist eine Anzeige bei der Polizei erforderlich (rechtliche Grundlagen siehe Kasten) sollte sich die Vertrauensperson zudem an eine Beratungsstelle für Prozessbegleitung wenden, um dem Kind bzw. dem Jugendlichen weitere Traumata zu ersparen: „Polizisten müssen einer Anzeige nachgehen”, erklärt Bettina Weidinger: „Dazu müssen auch dem betroffenen Kind Fragen gestellt werden, die dieses als unangenehm empfinden kann.” Um die Situation für das betroffene Kind so einfach wie möglich zu machen, bietet etwa die Psychosoziale und juristische Prozessbegleitung bei Gewalt gegen Kinder und Jugendliche Begleitung und Unterstützung an (Link siehe Kasten).

Generell sollten jene Personen, die den Verdacht auf Missbrauch hegen oder vom missbrauchten Kind oder Jugendlichen ins Vertrauen gezogen werden, äußerst behutsam mit der Situation umgehen: „Sehr gut angenommen wird das Berichten dessen, was die Vertrauensperson selbst wahrnimmt”, sagt Bettina Weidinger: „Ich sehe, du bist sehr durcheinander, ich nehme wahr, dass es dir heute nicht gut geht.” Mit solchen Sätzen schafft die angesprochene Person Vertrauen und die Möglichkeit für ein offenes Gespräch.
Sabine Fisch

Anlaufstellen Opferschutz:
Psychosoziale und juristische Prozessbegleitung bei Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs

Rat auf Draht

Vernetzungsstelle von ExpertInnen und NGOs aus den Bereiche Gewalt gegen Kinder und Gewalt gegen Frauen

Kinderrechts-Website

Frauenhelpline gegen Männergewalt – auch für Kinder und Jugendliche

Frauenhäuser in Österreich (bieten auch Schutz für Kinder)

Plattform gegen Gewalt in der Familie

Frauennotruf 24 Stunden erreichbar

Informationsstelle gegen Gewalt

Amt für Jugend und Familie Wien

01-4000, Service-Telefon-8011
Servicetelefon des Amtes für Jugend und Familie Wien

Kinderschutzzentren in Österreich

Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche mit Missbrauchserfahrungen

Rechtliche Situation bei Sexuellem Missbrauch