Nicht nur Aids, sondern auch Lues, Gonorrhoe und Infektionen mit Herpes simplex-Viren nehmen seit einigen Jahren in Österreich wieder zu.Um rund 338 Prozent stieg die Zahl der Syphilis-Infektionen von 1993 bis 2002 an. Die Zahl der Gonorrhoe-Erkrankungen stieg in den vergangenen Jahren um rund 260 Prozent. Betroffen sind dabei vor allem Menschen unter 40 Jahren, und als Hauptgründe für den Anstieg dieser Krankheiten nennt der Wiener Urologe Stephan Madersbacher ungeschützten Geschlechtsverkehr und Sextourismus. Nach Angaben der Weltbank stellen sexuell übertragbare Krankheiten (sexuell transmitted diseases, STDs) den zweitgrößten Kostenfaktor der Erkrankungen der 15 bis 44jährigen dar.
Jahrelang galten Infektionskrankheiten wie Lues und Gonorrhoe in Österreich als praktisch nicht mehr existent. Den hohen Anstieg in den vergangenen Jahren erklären Experten mit dem schlechten Gesundheits- und Sozialstandards in osteuropäischen Ländern, die dort zu einem massiven Anstieg dieser Erkrankungen geführt haben, die nun – unter anderem durch Prostitution – nach Westen schwappt. Aber auch die erhöhte Mobilität der Menschen, Fernreisen in Gebiete mit einem hohen Ansteckungsrisiko und der sorglose Umgang mit diesem Risiko sind für den starken Anstieg mitverantwortlich. „Die Angst vor einer Ansteckung mit dem HIV-Virus ist gesunken, was vor allem bei jungen Menschen dazu führt, dass sie Safer Sex immer seltener praktizieren. Dazu kommt, dass das Wissen über sogenannte Geschlechtskrankheiten immer noch sehr gering ist.” so Madersbacher.
Hohe Anzahl von Infektionen
Glaubt man der Statistik, so leiden weltweit rund 300 bis 400 Millionen Menschen an STD, und über 125 Millionen Menschen infizieren sich jährlich.. Als STds wird eine Gruppe von Infektionskrankheiten definiert, deren Erreger hauptsächlich durch Geschlechtsverkehr übertragen werden. Dazu gehören neben den fünf „klassischen” Geschlechtskrankheiten, wie Gonorrhoe (Tripper), Lues (Syphilis), Ulcus molle, Lymphgranuloma venerum und Granuloma inguinale, auch eine Reihe anderer Infektionen, die durch Bakterien, Viren, Protozoen und Pilze hervorgerufen werden. Dazu gehören beispielsweise Chlamydien- und Trichomonaden-Infektionen, Herpes genitalis, aber auch Hepatitis B und natürlich HIV. „Die STD haben, seit den engagierten Diskussionen um Aids, in der Öffentlichkeit zu unrecht an Bedeutung verloren. Dies sieht man an den gestiegenen Infektionszahlen, aber es kamen in den vergangenen Jahren auch erstmals in Wien wieder Kinder mit angeborener Lues zur Welt”, sagt etwa Dr. Sylvia Mayerhofer, Leiterin der STD-Ambulanz in Wien. „Die Durchseuchung mit Herpex-Simplex-Viren HSV-2 – dieser Virus ist verantwortlich für Herpes-Infektionen an den Genitalien – liegt in Österreich mittlerweile zwischen 30 und 50 Prozent.”
Wenig Wissen über Viruserkrankungen
„Trotz der intensiven Aufklärung über die Infektion mit dem HIV-Virus und den Kampagnen für Safer Sex wissen viele ÖsterreicherInnen immer noch erschreckend wenig über Viruserkrankungen, die durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen werden können”, sagte etwa Dr. Judith Hutter, Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten beim 18. Internationalen Kongress zum Thema sexuell übertragbare Krankheiten in Wien im Jahr 2003. Auch eine aktuelle Studie zeigt, dass rund 13 Prozent aller befragten Personen sogar bei einem Seitensprung ungeschützten Geschlechtsverkehr haben und über die Geschlechtskrankheiten fast gar nichts wissen. Dr. Hutter: „So ist z. B. kaum bekannt, dass 30 bis 50 Prozent aller Hepatitis-B-Infektionen durch ungeschützten Geschlechtsverkehr ausgelöst werden.” Das Hepatitis-B-Virus ist übrigens wesentlich infektiöser als das HI-Virus.
„Frauen”, so führte Dr. Hutter weiter aus „droht vor allem von den so genannten „high-risk”-Stämmen der Papilloma-Viren (HPV-Humanes Papilloma Virus) Gefahr. Chronische HPV-Infektionen sind für die Entstehung des Zervixkarzinoms oder seiner Vorstufen verantwortlich.”
Lues, Gonorrhoe und Co…
Neben den fünf bereits genannten STDs gibt es eine Reihe anderer Infektionskrankheiten, die häufig oder fast ausschließlich durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilt diese Erkrankungen nach Krankheitssymptomen bzw. nach der Erstmanifestation der Erkrankung ein: Geschwür oder Erosion, Ausfluss, Infektion der Lymphknoten oder Lymphbahnen und Hauterscheinungen. Dieser Ansatz hat sich in der ärztlichen Praxis bewährt und vereinfacht die Diagnose.
Schweigen und Verdrängen
Die Gründe für den erneuten Anstieg an STDs in Mitteleuropa liegen in einem mobileren Leben, dem freizügigeren Umgang mit Sex und seinen verschiedenen Praktiken, gleichzeitig aber auch die schon genannte Unwissenheit und das verschämte Schweigen. Denn Geschlechtskrankheiten sind immer noch mit einem Tabu belegt, und das gleich in doppelter Hinsicht: Zuerst haben die Patienten Angst, mit dem Arzt zu reden, anschließend fürchten sie sich davor, dem Partner von der Erkrankung zu erzählen. Dazu kommt, dass einige STD auch beinahe symptomlos verlaufen, wie das etwa bei einer Infektion mit Chlamydien der Fall sein kann. Auch ein syphilitischer Primäraffekt kann unbemerkt vorübergehen.
Schwieriges Arzt-Patienten-Gespräch
Aber auch für den behandelnden Arzt bringt die Situation Probleme mit sich. Vor allem die Infektionsquellenforschung erfordert viel Zeit und eine Arzt-Patienten-Beziehung, die auf gegenseitigem Vertrauen beruht. Schließlich muss man hier einem fremden Menschen Fragen über seine Intimsphäre beantworten: „Wer sind ihre Sexualpartner? Wie oft und wann hatten sie Sex? Wann mit wem? Und auf welche Art und Weise?” Befragt man Allgemeinmediziner nach ihrem Umgang mit solchen Patienten, stellt sich schnell heraus, dass eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung in einem solchen Fall das Um und Auf ist. „Die erste Reaktion ist häufig, dass der Patient abstreitet, sich in eine solche Situation gebracht zu haben. Ich sag dann immer: „Jetzt seien sie mir nicht böse, aber das kann nicht sein. Sie brauchen sich vor mir auch nicht genieren, gemeinsam werden wir das auch wieder hinkriegen.” Die Vermittlung von Verständnis und das Vermeiden von Verurteilungen führt zu mehr Verständnis von seiten der Patienten und damit auch zu einem besseren Therapieerfolg. Letzten Endes kann jeder Mensch in eine solche Situation kommen. So sieht das auch ein anderen befragter Hausarzt. „Ich bin nicht dazu da, den ersten Stein zu werfen, sondern zu helfen. Das sage ich auch meinen Patienten. Ich versuche zu vermitteln, dass das jedem passieren kann und es jetzt wichtig ist, dass wir gemeinsam die richtige Therapie und das richtige Umgehen mit der Erkrankung finden.”
Ansteckungsgefahr hoch
Jeder kann sich mit einer STD anstecken und zwar unabhängig vom Alter und von der Zahl sexueller Kontakte: Ein einmaliger Kontakt genügt, um Viren, Bakterien, Pilze oder Protozoen einzuschleusen. Die Zahl der Ansteckungen steigt auch bei sehr jungen Menschen. Immer häufiger werden bei Mädchen unter 15 Jahren Gonorrhoe oder Chlamydieninfektionen diagnostiziert. Und dies geschieht nicht nur in den USA, wo die Zahl der gemeldeten Infektionen an Gonorrhoe bei fünf bis 14jährigen Kindern mittlerweile höher ist als jene von Masern, Mumps und Röteln, sondern auch hierzulande. Unter der erwachsenen Bevölkerung sind es vor allem die 20- bis 29jährigen, bei denen STDs vermehr auftreten, wobei Singles, Geschiedene oder getrennt lebende Menschen häufiger betroffen sind als Verheiratete. Zur typischen Risikogruppe gehören auch Freier von Prostituierten, die ohne Schutz arbeiten, und die, zum größten Teil männlichen, Urlauber, die Fernreisen zum Sextourismus nützen. Dabei gilt die Grundregel, dass die Gefahr einer Ansteckung zwar unterschiedlich hoch ist (z. B. rund 80 Prozent bei Gonorrhoe, etwa 45 Prozent bei einer Chlamydieninfektion), aber mit jedem Sexualkontakt steigt.
Safer Sex schützt
Kondome – und ihre korrekte Anwendung – sind nach wie vor der einzige, wenn auch nicht 100prozentige Schutz vor STDs. Dieser Schutz funktioniert allerdings nur dann, wenn das Kondom richtig angewendet wird, dass heißt: es muss rechtzeitig „angezogen” und beizeiten wieder „ausgezogen” werden – das Kondom muss vor dem ersten Kontakt mit der Scheide oder dem Mund der Partnerin/des Partners aufgezogen und nach dem Samenerguss sofort entfernt und entsorgt werden. Eine Studie hat gezeigt, dass die Infektionsrate genitaler Kontaktinfektionen bei Benützern von richtig verwendeten Kondomen unter zehn Prozent, bei inadäquater Anwendung über 20 Prozent und bei Patienten ohne mechanischen Schutz fast 70 Prozent beträgt. Es spricht also alles für die Verwendung von Kondomen – kein anderes Verhütungsmittel schützt vor STDs. Vor allem bei Erstkontakten und bei Sex mit Menschen aus einer Risikogruppe sollte das Kondom jedenfalls unbedingt verwendet werden. Nur gegen eine einzige sexuell übertragbare Krankheit kann man sich übrigens mit einer Impfung schützen: gegen Hepatitis B.
Erkrankungen erkennen und ernst nehmen
Selbstbeobachtung ist bei STDs extrem wichtig. Wichtig ist dabei die Beachtung folgender Symptome: Brennen beim Wasserlassen, Jucken, Ausfluss aus der Vagina oder Harnröhre, Bläschen, Ausschläge oder Entzündungen im Genitalbereich.
Gut behandelbar – oft heilbar
Wenn es zu einer Infektion mit einer STD kommt, so sind Therapie- und Heilungsmethoden in den meisten Fällen gut.
Gonorrhoe
Die Behandlung dieser Erkrankung erfolgt mit Antibiotika. Ein Mittel der Wahl ist die einmalige Gabe einer Tablette von 500 mg des Wirkstoffs Ciprofloxacin. Ansonsten ist eine einmalige Injektion mit Cephalosporinen möglich. Als weiteres Mittel kann Spectinomycin als ebenfalls einmalige Gabe verwendet werden. Da eine Gonorrhoe häufig mit einer Chlamydieninfektion verbunden ist, wird häufig ohne weitere Abklärung Doxycyclin verabreicht.
Prognose: sehr gut
Lues
Das Mittel der Wahl ist Penicillin. Auf eine ausreichende und gleichmäßige Dosierung zu achten. Bei einer Penicillinallergie können alternativ Erythromycin oder Tetrazykline wie z.B. Doxyzyklin verwendet werden. Die Dauer der Behandlung richtet sich nach dem Krankheitsstadium. Bei einer Krankheitsdauer unter einem Jahr sollte sie 14 Tage, bei Dauer über einem Jahr oder Neurosyphilis drei Wochen dauern. Schwangere sind nach dem gleichen Schema zu behandeln. Der Therapieerfolg sollte während 18 Monaten serologisch kontrolliert werden.
Prognose: bei rechtzeitiger Behandlung sehr gut
Ulcus molle
Die Therapie der Wahl sind Antibiotika: Azithromycin (Einmaldosis), Ceftriaxon (Einmaldosis), Erythromycin für 7 Tage. Das Bakterium kann über Plasmide (=extranucleäre DNA) Resistenzen ausbilden und weitergeben. Daher besteht eine Resistenz gegenüber Penicillin G, Sulfonamiden und Tetrazyklinen.
Prognose: sehr gut
Herpes simplex Typ 2
Die Behandlung richtet sich stark nach der Symptomatik und der Schwere der Erkrankung. Ein begrenzter Befall der Haut oder Schleimhäute kann meist unbehandelt bleiben. Zur Austrocknung der Bläschen und Kühlung eignet sich Zinkschüttelmixtur. Bei einer bakteriellen Superinfektion sind gelegentlich Antibiotika und lokal desinfizierende Maßnahmen notwendig. Als spezifisches Mittel steht Aciclovir zur Verfügung. Es wird in die Virus DNA eingebaut und führt dort zu einem Strangabbruch. Die komplette Elimination des Virus ist jedoch nicht möglich. Obgleich das Mittel auch als Tablette zur Verfügung steht, ist die intravenöse Verabreichung wegen der höheren erzielbaren Blutspiegel vorzuziehen. Die Behandlung bleibt daher für schwere oder rezidivierende Krankheitsbilder reserviert.
Prognose: Bei leichten Verläufen (z.B. Stomatitis aphtosa) kommt es zur Spontanheilung. Obgleich eine endogene Reinfektion häufig ist, ist die Prognose gut. Besonders bei Kindern, bei generalisiertem Befall, bei immungeschwächten Patienten und Infektion des Gehirns ist die Prognose ungünstig bis hin zum Tod.
Humanes Papilloma Virus (HPV)
Die Behandlung richtet sich nach Größe und Ausbreitung der Läsionen. Sie erfordert immer eine wiederholte Behandlung und wird durch häufiges, erneutes Auftreten von Läsionen während bzw. unter der Behandlung kompliziert. Auch nach der Abheilung der Warzen sollten über eine gewisse Zeit Kontrollen des Behandlungsergebnisses durchgeführt werden. Die chirurgische Abtragung ist selten nötig. Als geeignet erweisen sich die Elektrokoagulation, Lasertherapie, Bestreichen mit Trichloressigsäure, 5-Fluorouracil (Zytostatikum) oder Podophyllin (Zytostatikum). Alle chemischen Behandlungsmethoden erfordern die sorgfältige Schonung (Abdeckung) der nicht erkrankten Haut und die Beschränkung der Behandlung auf kleine Hautareale. Zu beachten ist, dass Zytostatika in geringen Mengen durch die Haut in den Körper aufgenommen werden können. Zytostatika dürfen außerdem nicht zur Behandlung schwangerer Patientinnen verwendet werden. Sie können ihrerseits Tumorerkrankungen auslösen.
Prognose: in der Regel gut. Ausgenommen sind ein ausgedehnter Befall (Buschke-Löwenstein-Tumoren) und der Übergang zur malignen Tumoren. Gelegentlich kommt es zu spontanen Heilungen.
Sexuell übertragbare Krankheiten heißen so, weil sie fast ausschließlich durch sexuellen Kontakt übertragen werden. Das bedeutet, dass eine Ansteckung über andere Quellen, wie beispielsweise öffentliche Bäder, Duschen oder Toiletten extrem selten ist, oder wie es schon der berühmte Leibarzt Maria Theresias, van Swieten einer ängstlichen Patientin gegenüber formulierte, die fragte: „Kann ich mich denn auch auf der Toilette mit Syphilis anstecken?”: „Ja”, antwortete der berühmte Arzt, „aber ich glaube, das wäre für sie recht anstrengend.”