Sammeln, fotografieren, aufnehmen und beschreiben!

Sehr viele Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs werden eingestellt, weil zu wenig Beweise sichergestellt werden können. Für die Gerichtsmedizin ist der Tatbestand „Missbrauch” eine große Herausforderung. Im dritten Teil unserer Serie behandeln wir das Thema „Dokumentation aus gerichtsmedizinischer Sicht”.

Nur mit ausreichender und aussagekräftiger Dokumentation hat die Gerichtsmedizin bei einem Gerichtsverfahren wegen sexuellem Missbrauch eine Chance auf beweiskräftige Aussagen. „Die Gerichtsmedizin hat aber nur selten Gelegenheit, die Dokumentation und Spurenabnahme zu beeinflussen”, sagte Dr. Elisabeth Friedrich, vom Department für Gerichtliche Medizin an der Medizinischen Universität Wien (dzt. in Karenz). „Wir werden in der überwiegenden Anzahl der Fälle nämlich erst dann beauftragt, wenn es zu einer Anzeige gekommen ist.” Friedrich sprach im Rahmen einer Veranstaltung der Gesellschaft der Ärzte zum Thema „Sexueller Missbrauch” über die Dokumentation aus gerichtsmedizinischer Sicht.

Gerichtsmedizinische Sachverständige sind vor Gericht auf die Angaben der Opfer und möglicher Zeugen, auf die Dokumentation und auf asservierte Spuren angewiesen. „Sie wissen alle, wie schwierig es ist, Opfer von Missbrauch zu befragen”, hielt Friedrich fest: „Und nur selten besteht die Möglichkeit der Befragung von Zeugen.” Dazu kommen die Erhebungsergebnisse der Exekutive, die Befunde der behandelnden bzw. untersuchenden Ärzte, die Fotodokumentation sowie kinderpsychiatrische und -psychologische Befunde.

Gerichtsmediziner werden vom Staatsanwalt beauftragt. Folgende Themenkomplexe möchte er im Rahmen eines Verfahrens wegen sexuellen Missbrauchs beantwortet wissen:

1. Beweise für die sexuelle Ausbeutung
2. Zeitpunkt, Art und Häufigkeit der sexuellen Ausbeutung
3. Stammen Verletzungen von sexuellen Übergriffen?
4. Kann der Täter identifiziert werden?

„Wenn es keine eindeutigen Beweise, wenn es keine Aussagen gibt, die den Verdacht tatsächlich erhärten, so werden die Verfahren meist schon eingestellt, bevor es überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung kommt”, schilderte Elisabeth Friedrich. „Um ein Gerichtsverfahren überhaupt zu ermöglichen, ist es von eminenter Wichtigkeit, dass die Dokumentation im Vorfeld zweckmäßig erfolgt.” Die wichtigsten Beweise im Rahmen eines solchen Verfahrens sind gesicherte Spuren und Verletzungen: „Alles, was mit den Angaben des Opfers zu tun hat, unterliegt der Glaubwürdigkeit – und im Strafverfahren gilt nur dann etwas eindeutig, wenn es bewiesen werden kann”, beschreibt Friedrich diese schwierige Situation.

Für die Dokumentation eines sexuellen Missbrauchs gelten folgende Regeln:
Verletzungen und Spuren sollen beschreibend und nicht diagnostizierend sein. „Hymen intactus ist eine Diagnose, mit der wir sehr wenig anfangen können – und von der Staatsanwaltschaft wird das als negativ betrachtet”, erläutert Friedrich. „Es sollte die Art des Hymens, die Durchgängigkeit, könnte es möglich sein, einen Finger einzuführen oder könnte eine Penetration stattgefunden haben, ohne das das Hymen eingerissen ist”, so die Gerichtsmedizinerin und Sachverständige.

Bei der Anamnese ist wichtig, zu dokumentieren, wie man mit dem Opfer gesprochen hat: „War das Kind in der Lage auszusagen?” In der Dokumentation sollten die Schilderungen des Opfers wörtlich wieder gegeben werden. Auch die psychische und körperliche Verfassung sollte möglichst exakt beschrieben werden, damit sich das Gericht ein Bild von der Situation des Opfers machen kann.

Verletzungen des Opfers (sowohl am Genitale als auch Verletzungen, die von Schlägen stammen können) sollten ebenfalls beschreibend dokumentiert werden:
– Form
– Farbe
– Größe
– Ausbreitung
– Alter (aber nicht nach Tagen – sondern frisch oder nicht frisch)
– Lokalisation und
– Schmerzqualität.

Fotodokumentationen sollen sich nicht auf Details beschränken sondern auch immer Übersichten enthalten. Es sollten übrigens auch Fotos gemacht werden, wenn keine Verletzungen – etwa am Genitale – vorgefunden wurden: „Wir brauchen auch die Negativbefunde”, sagte Elisabeth Friedrich. Wesentlich ist schließlich die Verwendung von Checklisten in der Untersuchung, Dokumentation und Spurensicherung beim sexuellen Missbrauch. „Diese Checklisten liegen mittlerweile in allen Ambulanzen auf”, so Friedrich. Das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheit (ÖBIG) hat vor kurzem eine neue – sehr umfassende Checkliste – zur Verletzungsdokumentation herausgegeben, die einen Nachweis von Spuren und Verletzungen an allen Körperregionen erfordert (www.oebig.at).

„Liegen keine Beweise vor, haben wir nur die Aussagen der Opfer, die Verantwortung der Beschuldigten und Angeklagten, sowie die Wahrnehmung von Zeugen”, so Friedrich: „Was bleibt ist ein retraumatisiertes Opfer, große Frustration und die mögliche Fortsetzung des Missbrauchs, so dieser durch Familienangehörige erfolgt ist.” „Daher”, so die Gerichtsmedizinerin abschließend, „kommt der ausführlichen, zeitintensiven Dokumentation ein unglaublich hoher Stellenwert zu.”