Nierenerkrankungen vielfach unterschätzt

Univ.-Prof. Dr. Herwig Holzer

Univ.-Prof. Dr. Herwig Holzer

800.000 Österreicher sind im Laufe ihres Lebens von einer Nierenfunktionsstörung betroffen. Häufig bleiben Betroffene viel zu lange unbehandelt, warnen Experten aus Anlass eines Nieren- und Hochdruckkongresses 2003 in Innsbruck. Die gute Nachricht: In einigen Bereichen ist Österreich im internationalen Spitzenfeld – etwa bei den Transplantationen.

„Geschätzte 300.000 Menschen leiden aktuell an einer chronischen Nierenerkrankung”, sagt Univ.-Prof. Dr. Herwig Holzer, Leiter der Klinischen Abteilung für Nephrologie und Hämodialyse, Medizinische Universitätsklinik Graz. „Häufig dauert es lange Zeit, bis überhaupt ein Arzt konsultiert wird. Denn die Symptome sind zunächst sehr unspezifisch – viele Patienten bemerken nichts von ihren Problemen.”
Etwa 6.000 Menschen werden in Österreich durch ein Nierenersatzverfahren behandelt, wobei inzwischen fast die Hälfte von ihnen durch ein Nierentransplantat rehabilitiert werden. Jährlich müssen etwa 1.050 bis 1.100 neue Patienten in ein Dialyseprogramm integriert werden, die Anzahl der Patienten in chronischer Dialysebehandlung steigt jährlich um etwa vier Prozent. Prof. Holzer: Die Gesamtzahl der Dialysepatienten ist 2002 laut Österreichischem Dialyse- und Transplantationsregister um 3,8 Prozent auf nunmehr 3.157 gestiegen.

Terminales Nierenversagen verhindern
Dialyse und Transplantation könnten in vielen Fällen überhaupt verhindert oder zumindest deutlich verschoben werden, würden Nierenerkrankungen rechtzeitig entdeckt und frühzeitig behandelt werden, betonen Experten. Aber: „Nur jeder zweite Patient mit Niereninsuffizienz wird hierzulande bereits vor der Dialyse fachärztlich betreut. Alle anderen kommen erst dann zum Nephrologen, wenn sie bereits eine Nierenersatztherapie benötigen”, kritisiert Univ.-Prof. DDr. Walter Hörl, Leiter der Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Universitätsklinik für Innere Medizin III im Wiener AKH. Das hat allerdings dramatische Folgen. Von 50.000 Dialysepatienten in Deutschland, schlugen kürzlich deutsche Experten Alarm, hätten bis zu 10.000 keine chronische Nierenschädigung haben müssen, bei weiteren 15.000 bis 20.000 hätte sich die Blutwäsche bei richtiger Behandlung noch Jahre aufschieben lassen. Auf Österreich umgelegt bedeutet das: Bei bis zu 600 Patienten hätte sich der chronische Nierenschaden vermeiden lassen, bei weiteren 900 bis 1200 hätte sich die Dialyse verschieben lassen.

Bluthochdruck und Diabetes schädigen Nieren
Die kontinuierliche Zunahme von regelrechten “Volkskrankheiten” wie Bluthochdruck und Diabetes tragen zu einem kontinuierlichen Anstieg nephrologischer Erkrankungen bei. Nur in einem Drittel der Fälle sind die klassischen Nierenerkrankungen für die Niereninsuffizienz verantwortlich. So war in Österreich im Jahr 2001 – nach den Daten des Dialyse- und Transplantationsregisters – bei 33 Prozent der neuen Patienten in Nierenersatztherapie Diabetes für ihr Nierenversagen verantwortlich. In einem weiteren Drittel aller Fälle sind Arteriosklerose und Bluthochdruck Verursacher des Nierenversagens. Jeder vierte Österreicher leidet an Bluthochdruck. Dazu Univ.-Prof. Dr. Gert Mayer, Leiter der Klinischen Abteilung für Nephrologie an Universitätsklinik für Innere Medizin in Innsbruck, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hypertensiologie: „Die Häufigkeit der Hypertonie korreliert unmittelbar mit schweren Erkrankungen, wie dem Schlaganfall. „Bluthochdruck beginnt viel früher die Gefäße zu schädigen, als bisher angenommen”, sagt der Tiroler Experte. „Daher muss die Empfehlung lauten: Rechtzeitig erkennen und rasch handeln.”

Kassenverträge für Nephrologen
Das ist allerdings außerhalb des Spitals nicht ganz einfach. Denn wie andere Sonderfächer auch bekommen Nephrologen, die im niedergelassenen Bereich tätig sind, keine Verträge mit der Sozialversicherung. “Das führt bedauerlicherweise zu einer inadäquaten Versorgung komplizierter nephrologischer Patienten und häufig zu einer viel zu späten Behandlung betroffener Patienten durch den Spezialisten und letztlich auch zu einer vermehrten Krankenhauseinweisung der Nierenpatienten”, kritisiert Prof. Holzer. “Die Etablierung von Fach-Nephrologen im niedergelassenen Bereich wäre also ein ganz wesentlicher Beitrag zu einer besseren Versorgung.