Es gibt zu viele Chirurgen!

Die Chirurgie gilt vielen Jungmedizinern immer noch als „Königsdisziplin” unter den Sonderfächern. Im Gespräch mit der Ärztewoche wird dies allerdings vom Klagenfurter Abteilungsvorstand Prim. Prof. Dr. Michael Starlinger stark relativiert. Er setzt sich für weniger Ausbildungsplätze und eine kürzere Ausbildungszeit ein.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Starlinger„Wir bilden viel zu viele Leute aus”, sagt Prim. Prof. Dr. Michael Starlinger, Vorstand der Abteilung für Allgemeinchirurgie am Klagenfurter Krankenhaus. „Bei uns in Klagenfurt ist es so, dass die Leute nach der Facharztprüfung auf der Straße stehen, weil wir nicht genügend Stellen anbieten können.” War es bis vor einiger Zeit noch so, dass die Änderungen im Arbeitszeitgesetz, ein größeres Angebot an freien Stellen bedeutete, so ist diese Zeit laut Starlinger längst wieder vorbei. Auch die Ausbildungsdauer kritisiert der Viszeralchirurg: „Wenn die Leute bei uns, meist nach ihrem Turnus, mit ihrer sechsjährigen Ausbildungszeit fertig sind, sind sie nicht selten bereits vierzig Jahre alt. Das ist zu alt.” Starlinger zieht im Ärztewoche-Gespräch die Ausbildung in den USA heran: Dort dauert die sogenannte Residency, bei der ein promovierter Mediziner praktisch Tag und Nacht am Krankenhaus ist, drei Jahre. Danach darf er sich surgeon nennen, also Chirurg.” Auch die Ausbildung in den USA sei insgesamt viel strukturierter, die „Lehrlinge” hätten deutlich mehr zu tun und müssten, selbstverständlich unter Anleitung, viel mehr und selbständiger operieren.

Patienten erziehen
„Aber das ist auch durch eine andere Haltung der Patienten möglich, die durchaus nichts dagegen haben, wenn der Assistent sie unter Anleitung operiert”, erläutert Starlinger. „Bei uns bin ich doch häufig damit konfrontiert, dass ein Patient sagt: Aber Herr Professor, sie operieren mich schon selber!” Auch die Struktur in der Ausbildung zum Chirurgen fehlt Starlinger in Österreich: „Wir haben keine Tradition in der Ausbildung”, moniert der Chirurg, der sich eine Begrenzung der Ausbildungsstätten wünscht. Auch ein fixer Ausbildungskatalog sollte vorgegeben sein und auch eingehalten werden. Nicht zuletzt wünscht sich Starlinger regelmäßige Audits der Ausbildungsstätten: „Werden die Bedingungen nicht erfüllt, sollte dem ausbildenden Krankenhaus die Berechtigung zur Facharztausbildung entzogen werden.” Die Österreichische Gesellschaft für Chirurgie entwickelt gerade ein Konzept, wie viele Ausbildungsstellen für Chirurgie in Österreich notwendig sind. „Dies soll uns eine Einschätzung darüber bieten, wie viele Chirurgen in Österreich überhaupt notwendig sind”, erklärt Starlinger.

Krisenfeste Ärzte
Bei jenen Chirurgen, die es schaffen, eine Ausbildungsstelle zu erhalten, setzt Starlinger Entscheidungsfreudigkeit und eine „gewisse Neigung zum Krisenmanagement” voraus. „Denn wir handeln ja sehr häufig aus einer Notsituation heraus”, so Starlinger weiter. Nicht selten kommt es auch bei geplanten Eingriffen zu Komplikationen, bei denen Ruhe und Besonnenheit am OP-Tisch besonders wichtig seien. Handwerkliches Können sei natürlich ebenfalls nicht von Nachteil, wenngleich man dieses auch durch viel Übung kompensieren könne.
Seine eigene Faszination an der Chirurgie erklärt Starlinger damit, dass „in vielen Fällen durch die Arbeit von einigen Stunden die Voraussetzung für das Gesund werden eines Menschen geschaffen werden kann.”

Verteilungskämpfe ante portas
Gerade auch die laparoskopische Chirurgie hat dafür viel getan. Wurden durch sie doch auch Eingriffe bei Menschen möglich, die bereits durch andere Erkrankungen schwer belastet waren oder für die ein höheres Narkoserisiko bestanden hat. Starlinger nennt als Beispiel die laparoskopische Cholezystektomie. Insgesamt geht der Viserzalchirurg für die kommenden Jahre von einer weiteren Verfeinerung und Spezialisierung der laparoskopischen Chirurgie aus, sieht dies aber nicht als hauptsächliche Herausforderung für das Fach: „Das sind viel eher strukturelle Probleme, wie etwa die Einführung von Mindestmengen für kompliziertere Operationen. Da wird es in den kommenden Jahren sicherlich zu Verteilungskämpfen kommen und diese vernünftig und friedlich zu managen ist eine Herausforderung für uns Chirurgen.”

Abwandern sinnvoll
Jenen Jungärzten, die trotz aller derzeit im Fach vorherrschenden Probleme eine Ausbildung zum Chirurgen absolvieren wollen, rät Starlinger, ins Ausland zu gehen: „In Deutschland gibt es, schon aufgrund des Numerus clausus, Möglichkeiten zur Ausbildung.” Auch der immer massiver werdende Ärztemangel erhöht die Möglichkeiten auf eine Stelle zur Chirurgenausbildung. „Allerdings ist die Arbeit sehr anstrengend und der Verdienst in Deutschland für Ärzte in Ausbildung noch geringer als in Österreich”, warnt Starlinger ambitionierte Jungmediziner. Von der Ausbildung abraten will der Chirurg letztlich aber trotz aller Schwierigkeiten nicht: „Ich glaube, das ist wie in allen anderen Berufen: Die Guten setzen sich letztlich durch.” Die entsprechende Mobilität und Flexibilität vorausgesetzt, werde sich auch eine Möglichkeit zur Ausbildung ergeben.
Seine eigene Entscheidung, Chirurg zu werden, hat Starlinger übrigens nicht bereut, wenn er auch ursprünglich Anästhesist hätte werden wollen. „Denn wissen Sie”, sagt der Chirurg abschließend: „Das Schönste an meinem Beruf sind die dankbaren Patienten, die wenn alles gut gegangen ist, einem die Hand schütteln und sagen: „Herr Doktor, das haben Sie toll gemacht.”