Es sind nur wenige MedizinstudentInnen, die sich, nicht selten bereits nach dem Sezierkurs im zweiten Studienjahr, dazu entschließen, keines der klinischen Fächer zu wählen, sondern „in die Anatomie” zu gehen. Dies bedeutet im Idealfall den Weg vom Demonstrator als StudentIn über den Dr. med. hin zur sechsjährigen Ausbildung. Geduld ist, wie in allen anderen Fachrichtungen auch hier gefragt, denn Ausbildungsplätze sind ausgesprochen rar. Offizielle gibt es derzeit laut Ärztekammer derzeit österreichweit keine einzige freie Ausbildungsstelle.
„Wir sind heute eigentlich alle Molekularbiologen”, sagt Prof. Dr. Wilhelm Firbas, Vorstand des Instituts für Anatomie an der medizinischen Universität Wien im Gespräch mit der Ärztewoche. „Egal, ob sie heute Anatom sind, Histologe oder Pharmakologe. Die Fächer sind deutlich enger zusammen gerückt in den vergangenen Jahrzehnten.” Auch das Fach Anatomie hat einen tief greifenden Veränderungsprozess durchgemacht: Von der makroskopischen Anatomie, die heute als Forschungsgebiet als „ausgebrannt” bezeichnet wird, hin zu anatomischen Forschungsarbeiten auf molekularer Ebene. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die makroskopische Anatomie keinen Platz mehr im Fach hat, den hat sie, in der Lehre nämlich, und daran wird sich auch nichts ändern. Gehört die Lehre vom menschlichen Körper doch zum unabdingbaren Rüstzeug jedes Medizinstudiums.
Der Anatom als Zwitterwesen
Deshalb „sollte ein guter Anatom auch immer Lehrer sein wollen”, bringt es Firbas auf den Punkt. Und damit eigentlich ein Zwitterwesen: Denn neben der Lehre steht die Forschung in der Anatomie hoch im Kurs. Dies bedeutet wiederum die Anatomie auf der molekularen Ebene. „Es geht ja heute darum, möglichst hochwertig zu publizieren”, sagt Firbas. „Früher konnte man Studien machen über irgendwelche menschliche Varietäten und in Monographien publizieren.” Das ist heute nicht mehr so gefragt. „Heute geht es darum, für die akademische Karriere möglichst viele Impactpunkte zu sammeln.” Und diese erhält nur, wer in möglichst hochwertigen Zeitschriften publiziert. „Heute muss der Anatom aktuelle Forschung, Frontline-Forschung betreiben, das ist in unserem Fach gar nicht so leicht”, meint Firbas: „Es ist nicht mehr die Form, die beschrieben wird, sondern es sind die dahinter liegenden Prozesse.”
Für „versponnene, in sich zurückgezogene Forscherpersönlichkeiten” hat die Anatomie allerdings eher keinen Platz, dazu ist die Lehre zu prominent: „Wir haben heute neben der studentischen Lehre, zumindest gleich viele postpromotionelle Weiterbildungsveranstaltungen”, erläutert Firbas. Ärzte, die mit neuen Techniken konfrontiert sind, wie etwa Neurochirurgen oder Orthopäden, erproben diese am Leichenpräparat. „Das ist die neue Kompetenz der Anatomie”, stellt Firbas fest. „Wir bieten die Möglichkeit neue Fertigkeiten zu üben und zu testen, bevor sie am lebenden Menschen eingesetzt werden.” Neben der Anatomie als Grundlagenfach wird also die postpromotionelle Weiterbildung in Zukunft eine immer größere Rolle spielen. „Denken Sie nur an die Chirurgie”, kommt Firbas ins Schwärmen. „Da ging es früher um eine weite Öffnung der Körperhöhlen. Heute steht die minimal-invasive Arbeit im Vordergrund. Da müssen Sie ganz neue Blickwinkel lernen.”
Früher Beginn
Im Gegensatz zu den klinischen Fächern beginnt die Ausbildung zum Facharzt für Anatomie eigentlich bereits mit einer Tätigkeit als Demonstrator, während der Studienzeit. „Die eigentliche Facharztausbildung beginnt dann mit der Promotion und dem direkten Einstieg in die Arbeit am Institut”, erklärt Firbas. Die Ausbildung dauert sechs Jahre. Ein Jahr ist in einem klinischen Fach zu absolvieren, das frei zu wählen ist. Ausbildungsplätze sind derzeit allerdings ausgesprochen rar. Laut Ärztekammerliste ist derzeit überhaupt kein Platz vorhanden. Ein Einstieg ist trotzdem möglich: „Gelegentlich werden Stellen frei durch Berufungen, Versetzungen und Pensionierungen. „Wer sich bewährt und die Kriterien für eine Anstellung erfüllt, kann dann mit einer Dauerstelle rechnen”, sagt Firbas, der seit 1964 als Anatom tätig ist und für den seine Tätigkeit immer noch Herausforderungen bietet: „Ich würde mich jederzeit wieder dafür entscheiden.”