Fibromyalgie: Komplexe Diagnose

„Das Schwierigste ist, überhaupt an diese Erkrankung zu denken!”

Klare Guidelines, eine umfassende Anamnese sowie die Abklärung der sogenannten Tenderpoints helfen bei der Diagnostik dieser komplexen und von den PatientInnen sehr belastend empfundenen Erkrankung.

„Etwa zwei Prozent der Gesamtbevölkerung sind an Fibromyalgie erkrankt”, hielt Prim. Dr. Clemens Kaufmann, ärztlicher Leiter des Therapiezentrums Buchenberg/Waidhofen an der Ybbs im Rahmen des Pfizer-Schmerzsymposiums Ende Jänner in Wien fest. Der Name der Erkrankung leitet sich von Fibros (Faser), Myos(Muskel) und Algos (Schmerz) ab. Das schwierig zu diagnostizierende Störungsbild wurde lange Zeit als „eingebildete Krankheit” abgetan. Erst die Etablierung der Diagnosekriterien durch das American College of Rheumatology im Jahr 1990 ermöglichte die – relativ – klare Abgrenzung der Fibromyalogie zu anderen Musekerkrankungen, wie etwa dem myofaszialen Schmerzsyndrom.

Beträchtliche Folgen
„Frauen sind deutlich häufiger von Fibromyalgie betroffen als Männer”, so Kaufmann weiter: „Das Verhältnis beträgt 7:4.” Die Auslöser für das Störungsbild sind weitgehend unerforscht. Die Erkrankung ist zwar nicht lebensbedrohlich, allerdings sind die Folgen, die der oft jahrelange Leidensweg der Betroffenen nach sich zieht, beträchtlich: Die Lebensqualität ist ebenso eingeschränkt, wie die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Hohe direkte (häufige Arztbesuche) und indirekte (Arbeitsausfälle, Frühpension) Kosten sind die Folge der Erkrankung. Dazu kommt, dass es im Durchschnitt rund acht bis zehn Jahre dauert, bis eine korrekte Diagnose gestellt wird.

Ursache unklar
Wie es zur Fibromyalgie kommt, ist unklar. „Mittels MRT konnte allerdings festgestellt werden, dass sich die Hirndurchblutung verändert”, erläuterte Kaufmann: „Die Schmerzareale vergrößern sich, die Aktivität der Neurotransmitter Serotonin und Dopamin dagegen ist vermindert.” Menschen, die an einer Depression leiden, weisen eine höhere Prävalenz für Fibromyalgie auf, als gesunde Menschen. Auch Angststörungen treten unter Fibromyalgie-Patienten gehäuft auf. Fibromyalgie-PatientInnen haben zudem häufig psychische Traumen durchmachen müssen. „Eine exakte Anamnese muss daher am Anfang jedes diagnostischen Prozesses stehen”, mahnte Kaufmann.

Zudrücken erlaubt
Zur typischen Schmerzsymptomatik kommen eine Reihe weiterer klinischer Symptome. Dazu gehören Schlaflosigkeit ebenso wie Tagesmüdigkeit und Brustschmerzen (siehe Kasten 1). „All diese Symptome können mit der Fibromyalgie unter einen Hut gebracht werden – vorausgesetzt, die Kriterien der Guidelines werden erfüllt”, sagte Kaufmann. Eine deutsche Übersetzung der Guidelines finden Sie unter http://www.fibromyalgie-fms.de/. Die Klassifkationskriterien für Fibromyalgie sind in den Guidelines ebenfalls genau festgelegt (siehe Kasten 2). Vor allem der Druck auf die 18 Tenderpoints mit einem Druck von 4 kg/cm2 kann Aufschluss über das Vorliegen der Schmerzerkrankung liefern. „Sollten Sie nicht wissen wie viel 4 kg/cm2 ist, legen sie einfach den Zeigefinger auf die Waage und drücken Sie zu, bis dieser Druck erreicht ist”, bot Kaufmann diagnostische Hilfestellung an (Tenderpoints siehe Abbildung 1).

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Bunter Strauß
Das Spektrum der Differentialdiagnosen ist weit und reicht von Weichteilrheumatismus, über myofasziales Schmerzsyndrom und Karzinome bis hin zu Neuroborreliose und neuropathischen Schmerz (siehe Kasten 3). Auch eine Reihe von psychischen Erkrankungen tritt im Schmerzgewand auf, z. B. die somatoforme Schmerzstörung und Neurasthenie, aber auch affektive Störungen und die posttraumatische Belastungsstörung.

Wie diagnostizieren?
„Klinisch spielt die (Familien-)Anamnese eine wesentliche Rolle”, hielt Kaufmann fest, „dazu muss eine internistische und neurologisch-psychiatrische Durchuntersuchung kommen. Zur Differentialdiagnose sollte auch eine umfassende Laboruntersuchung vorgenommen werden. Allerdings sind Laborwerte wie Blutsenkungsgeschwindigkeit, CPK und SGOT für die Diagnose der Fibromyalgie nicht heranzuziehen: „Diese Werte sind ebenso normal wie die Testung auf den Rheumafaktor und auf antinukleälre Antikörper negativ”, sagte Kaufmann (Laboruntersuchungen siehe Kasten 4).

Erleichterte PatientInnen
Zur adäquaten Behandlung der Fibromyalgie spielt die Patienteninformation und -schulung eine wesentliche Rolle: „Viele Patienten sind erleichtert, wenn sie endlich eine Diagnose haben”, so Kaufmann. Die Therapie der Fibromyalgie fußt auf mehreren Säulen: Dazu gehört – neben der bereits erwähnten Patientenschulung – die Pharmakotherapie, physikalische Therapie, Trainings- und Entspannungstherapie, eine psychologische Schmerz- und Psychotherapie sowie die multimodale Rehabilitation.

Hilfreich und unwirksam
Starke Evidenz für die Wirksamkeit einer Pharmakotherapie bestehen derzeit für Amitriptylin, das bereits in Metaanalysen untersucht wurde, sowie für Pregabalin, das derzeit einzige in Österreich für die Therapie der Fibromyalgie zugelassene Medikament. „Als unwirksam haben sich nichtsteroidale Antirheumatika, Kortikosteroide, Opioide und Magnesium erwiesen”, hielt Kaufmann fest. In der physikalischen Therapie bewähren sich großflächige Wärme-Anwendungen, Ganzkörper-Hyperthermie, Thermal-, Heublumen- oder Kohlensäurebäder. Auch TENS oder Interferenzstrom und Ultraschall sowie Heilmassagen erweisen sich als schmerzlindernd.
„Starke Evidenz gibt es auch für die Wirksamkeit eines kardiovaskulären Übungsprogramms”, erläuterte Kaufmann. „Allerdings sollte dabei darauf geachtet werden, mit maximal 50 Prozent der Maximalherzfrequenz zu trainieren.” Auch eine kognitive Verhaltenstherapie und Stressbewältigungsprogramme dienen der Schmerzerleichterung. Als nicht hilfreich erwiesen sich eine forcierte Behandlungsintensität, Injektionen in Druckpunkte und Dehnübungen.

Zusammenfassung hielt Kaufmann die Wichtigkeit einer umfassenden Untersuchung und einer exakten Diagnosestellung für den Fibromyalgiepatienten fest: „Diese Menschen haben oft einen jahrelangen Leidensweg hinter sich. Sie haben ein Recht auf eine Diagnose.” Für therapeutischen Nihilismus sieht der Neurologe keinen Anlass: „Es gibt viel, das man zur Linderung der Fibromyalgie tun kann.”
Sabine Fisch

Kasten 1: Klinische Symptome
– chronische Schlaflosigkeit, Benommenheit, Schwindelgefühl
– Tagesmüdigkeit
– Depression, Ängstlichkeit
– nächtlicher Myoklonus, Restless Legs Syndrom
– anhaltende Morgensteifigkeit und Arthralgien
– Muskelkontraktions-KS
– Brustschmerz
– Dorsalgien oder ischialgiforme Schmerzen
– Bursitis, Tendinitis, Myalgien, Arthralgien
– Taubheitsgefühl, Kribbeln, Dysästhesien in Händen und Füßen
– Reizdarm, Bauchschmerzen, Durchfall, Verstopfung
– Interstitielle Zystitis, Dysurie, Kältegefühl
nach: Clemens Kaufmann, Vortrag im Rahmen des Pfizer Schmerzsymposiums 2008)

Kasten 2: Klassifikationskriterien des ACR von 1990:
– Schmerzen in verschiedenen Körperregionen über mindestens drei Monate
– Schmerzen in der rechten und linken Körperhälfte
– Schmerzen oberhalb und unterhalb der Taille
– Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule
– Schmerzen bei der Palpation von mindestens 11 der 18 Tenderpoints
nach: Clemens Kaufmann, Vortrag im Rahmen des Pfizer Schmerzsymposiums 2008)

Kasten 3: Differentialdiagnosen:
– Weichteilrheumatismus
– myofasziales Schmerzsyndrom
– Polymyalgia rheumatica
– chronische Polyarthritis, Kollagenose
– Polymyositis, Dermatomyositis
– postvirale Myalgie
– Oeteomalazie
– Karzinom, Myelom
– Hypothyreose
– Hyperparathyreoidismus
– Morbus Addison
– psychogener Rhematismus, psychiatrische Erkrankung
– beginnender Morbus Parkinson
– Neuroborreliose
– Neuropathischer Schmerz
nach: Clemens Kaufmann, Vortrag im Rahmen des Pfizer Schmerzsymposiums 2008)

Kasten 4: Laboruntersuchungen zur Differentialdiagnose
– BB und Diff
– BSG, CRP
– Ferritin, Lipide
– Leberwerte
– Kreatinin, Harnsäure
– CK, Elyte inkl. Ca
– Schilddrüse
– RF
– ANA
– Virologie, Borrelien