Der eigene Körper als Religionsersatz

Eingriffe an Nase, Gesicht, Bauch und Busen liegen voll im Trend

Die „Dreifaltigkeit” aus Medien, Modeindustrie und Werbung bestimmt heute das Schönheitsideal: Langbeinig, vollbusig, schlank. Die verzerrte Realität schlägt sich ganz real in der steigenden Anzahl von „Schönheits”-Operationen nieder.

1963 wurde die erste Brustvergrößerung durchgeführt, 1977 zum ersten Mal Fett abgesaugt. Damit begann der Siegeszug der plastischen Chirurgie. Seit dieser Zeit nehmen die Zahlen an durchgeführten „Schönheitsoperationen” jedes Jahr zu. In Österreich werden derzeit jährlich ungefähr 50.000 derartiger Eingriffe vorgenommen – Tendenz steigend. Im Rahmen der Veranstaltung „Der gemachte Körper”, die Ende November in Wien stattgefunden hat, wurde die zunehmende Häufigkeit von Eingriffen im Dienste der Schönheit von ExpertInnen diskutiert. Neu ist die Beschäftigung mit der Schönheit nicht – bereits im alten Ägypten und Griechenland galt makellose Schönheit als erstrebenswertes Ziel. „Ein Produkt der Überflussgesellschaft ist allerdings die intensive Beschäftigung mit dem eigenen Körper, die wir der herrschenden Überflussgesellschaft zu verdanken haben”, hielt die deutsche Autorin Gisa Bührer-Lucke, Autorin des Buches Die Schönheitsfalle: Risiken und Nebenwirkungen der Schönheitschirurgie, in ihrem Vortrag fest. „Der Körper wird zum Religionsersatz”, formuliert die Autorin pointiert. „Und die heilige Dreifaltigkeit” von Medien, Modeindustrie und Werbung schreibt uns vor, wie wir auszusehen haben, wie viel wir wiegen dürfen, welche Figur und welche Nase wir haben müssen.”

Sich diesem „Diktat” zu entziehen ist nicht einfach, weiß auch die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Plastische und rekonstruktive Chirurgie, Prof. Dr. Maria Deutinger, Vorstand der Abteilung für Plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie an der Wiener Rudolfstiftung. „Das von den Medien und der Werbung vermittelte Bild beeinflusst die Menschen stark”, sagt sie im Telefoninterview mit der Ärztewoche.

Gut ist was machbar ist

Dazu kommen Fernsehserien wie etwa „I want a famous Face” oder „The Swan”, die den ZuschauerInnen vermitteln, wie einfach es sei, sich mit Hilfe einer oder mehrerer plastischer Operationen in eine Schönheit zu verwandeln. Nicht selten führen psychische Probleme, wie etwa ein gestörtes Selbstbewusstsein, zur Entscheidung für eine Brustvergrößerung, Nasenkorrektur oder Fettabsaugung. Dann ist nicht die Hilfe eines plastischen Chirurgen, sondern eines Psychotherapeuten gefragt: „Als plastische Chirurgin muss ich das Feingefühl haben, die Gründe für die Entscheidung zu einer solchen Operation zu hinterfragen”, sagt Deutinger. „Wird die Entscheidung zu einer Schönheitsoperation von psychischen Problemen bestimmt, empfehle ich dem Patienten zu eine psychologische Beratung.”

Das ist allerdings nicht immer und überall der Fall. Vor allem Privatfernsehsender vermitteln das Bild, dass Eingriffe um der Schönheit willen nur selten auf die zugrundeliegende Entscheidung abgeklopft werden. Gut ist, so scheint es, was machbar ist. Der neueste diesbezügliche Trend ist die „Verschönerung” des äußeren Genitales bei Frauen, eine Entwicklung, die – so Gisa Bührer-Lucke – „der man stark entgegenwirken müsste.”

Männer holen auf

Rund 90 Prozent aller Eingriffe im Dienste der Schönheit werden immer noch an Frauen vorgenommen. Aber die Männer holen auch, auch für sie gilt Facelifting, Lidstraffung und Fettabsaugung gehört immer mehr zum guten Ton. Allein an der Wiener Rudolfstiftung wurden im Jahr 2008 1.066 Straffungsoperationen vorgenommen – 957 Frauen und 157 Männer legten sich dafür „unters Messer”. „Lidkorrekturen, Brustvergrößerungen sowie Fettabsaugungen an Bauch und Oberschenkel sind die häufigsten Eingriffe”, erläutert Maria Deutinger. Ein Spaziergang ist allerdings etwa eine Gesichtsstraffung keineswegs: „Diese Operation ist ein mehrstündiger Eingriff unter Vollnarkose.” Meist fühlen sich die PatientInnen nach einem solchen Eingriff gut. Über mögliche Komplikationen, wie Nekrosen oder Nervenverletzungen, die zu einer Verzerrung der Mimik führen können, muss allerdings auf jeden Fall im Vorfeld einer Operation informiert werden. Auch Nasenkorrekturen, Fettabsaugungen und Brustvergrößerungen können zu Komplikationen führen. „Vor jedem solchen Eingriff muss zwingend ein ausführliches Beratungsgespräch mit der Patientin oder dem Patienten stehen”, zeigt sich Maria Deutinger überzeugt.

Was in der allgemeinen Diskussion rund um „Schönheits”-Operationen fast untergeht, sind jene Eingriffe plastischer Chirurgen, die tatsächlich das Leiden von PatientInnen lindern können, etwa wenn nach einer starken Gewichtsabnahme Hautüberschuss entfernt werden kann, stark asymmetrische Brüste angeglichen werden oder Hakennasen und Segelohren korrigiert werden. „Die Entfernung überschüssiger Haut nach Gewichtsverlust kann das Körperbild der betroffenen PatientInnen stark verbessern”, sagt Maria Deutinger. „Schönheit um jeden Preis dagegen halte ich für einen gesellschaftlichen Auswuchs, den wir nicht unterstützen sollten.”

Hinter falschen Vorstellungen von der Schönheit, kann sich auch eine körperdysmorphe Störung verbergen, ein Krankheitsbild von dem immerhin rund zwei Prozent der Bevölkerung betroffen sein sollen. Genaue Statistiken gibt es nicht, die Dunkelziffer könnte höher sein. „Wir sollten Kindern und Jugendlichen vermitteln, sich wieder selbst zu mögen”, schloss Gisa Bührer-Lucke ihren Vortrag im Rahmen der Tagung „Der gemachte Körper” – dann ist vielleicht der kleine Makel, den man an sich findet, nur noch halb so schlimm.”