Der „Missbrauch“ des Missbrauchs

Laut Statistik Austria leben in Österreich rund 2,4 Millionen Kinder zwischen Null und 18 Jahren. Studien zufolge werden im Laufe ihrer Kindheit und Jugend jedes 4. Mädchen und jeder 7. Bub Opfer sexueller Gewalt. Eine einfache Rechnung macht die Größenordnung deutlich: In Österreich wären das rund 300.000 Mädchen und rund 172.000 Burschen, die – meist von Personen aus ihrem näheren und nächsten Umfeld – sexuell missbraucht werden. Die Täter – auch das ist durch Studien hinreichend belegt – sind zu 90 Prozent Männer – egal ob es sich beim missbrauchten Opfer um ein Mädchen oder einen Burschen handelt.

Trotzdem wird – und zwar bei jeder Veranstaltung zum Thema „Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen” – an der ich in den vergangenen Jahren als Journalistin teilgenommen habe, unmissverständlich darauf hingewiesen, dass auch Frauen sexuellen Missbrauch begehen. So wie kürzlich im Wiener Haus der Ärzte, wo im Rahmen einer wissenschaftlichen Sitzung vor allem über forensische Aspekte des sexuellen Missbrauchs diskutiert wurde. In einem Vortrag zum Thema Opferschutz wurde mehrmals und mit Nachdruck darauf aufmerksam gemacht, auf keinen Fall die „Missbraucherinnen” zu vergessen. Diese hätten zwar bisher im Schatten gestanden, vermehrte Aufmerksamkeit führe nun aber dazu, dass auch Frauen, die Kinder missbrauchen, ans Licht der Öffentlichkeit gebracht würden.

Ich möchte nicht missverstanden werden: Selbstverständlich sollen auch Frauen, die Missbrauch an Kindern und Jugendlichen begehen, ausgeforscht und bestraft werden. Ich möchte nur die Verhältnismäßigkeit gewahrt wissen: 90 Prozent der Missbraucher sind und bleiben Männer. Dies – und nicht der zwanghaft vorgebrachte Hinweis, „dass auch Frauen Täterinnen sein können”, sollte im Mittelpunkt der Diskussion um den sexuellen Missbrauch an Kindern stehen.

Nota bene: Nur rund 600 bis 700 Sexualdelikte an Kindern und Jugendlichen werden jedes Jahr in Österreich zur Anzeige gebracht – und letzten Endes kommt es nur zu rund 120 Verurteilungen. Wenn man dies den vermuteten Zahlen missbrauchter Kinder gegenüberstellt, wird klar, welch ungeheures Grauen hier – immer noch – tabuisiert wird.