„Es gibt keine Krebspersönlichkeit!“

Aber bis zu 30 Prozent aller KrebspatientInnenen leiden unter psychischen Belastungsreaktionen als Folge der Lebenskrise die durch die Diagnose einer Krebserkrankung ausgelöst wird.

. „Die Basis jeder erfolgreichen Therapie ist eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung”, stellt Prof. Gaiger , Hämatoonkologe und Psychoonkologe an der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie der Universitätsklinik für Innere Medizin I am Wiener AKH, im Zuge einer Veranstaltung der Austrian Breast and Colorectal Cancer Study Group (ABCSG) im April in Wien, die menschliche Beziehung in den Vordergrund. „Dabei geht es um klare, ehrliche Information, um ein geordnetes Therapie-Setting, das Rhythmus, Konstanz und menschliche Wärme vermittelt und unter Einbeziehung aller Ressourcen, dem Patienten in physischer wie auch psychischer Hinsicht die bestmögliche Behandlung ermöglicht.” Vor diesem Hintergrund hat sich das Fachgebiet der Psychoonkologie entwickelt, das sich, aus der Onkologie kommend, mit psychosomatischen und sozialen Faktoren beschäftigt, die den Verlauf einer Tumorerkrankung begleiten und die Lebensqualität der betroffenen Patienten wesentlich beeinflussen. In diesem Sinn ist die Psycho-Onkologie aus der modernen Onkologie heute nicht mehr wegzudenken.

Keine Krebspersönlichkeit
. Ziel der Psychoonkologie ist die Patientin in Ihrer Krankheitsbewältigung zu unterstützen. „Die meisten Menschen reagieren im Zuge der Diagnosestellung ihrer Krebserkrankung ähnlich wie in früheren belastenden Situationen”, sagte Prof. Dr. Alexander Gaiger, Je nach Persönlichkeitsstruktur kann die Reaktion auf eine Krebsdiagnose unterschiedlich sein. „Natürlich stellen sich viele Patientinnen dabei auch die Schuldfrage”, hielt Gaiger anlässlich der Veranstaltung „Open minds” fest : „Aber alle Studien haben klar gezeigt ergeben, dass es eine sogenannte „Krebspersönlichkeit” nicht gibt.” An der Entstehung von Krebs sind zahlreiche Faktoren beteiligt. Die vererbte Veranlagung spielt bei manchen Krebserkrankungen eine Rolle; dazu kommen äußere und innere Faktoren, die das Erbgut der Zelle nachhaltig verändern können. Noch immer gilt aber, dass bei den meisten Krebserkrankungen eine eindeutige einzelne Ursache nicht bekannt ist. Allerdings konnte klar gezeigt werden, dass seelische Belastungen, Charaktermerkmale oder Art der psychischen Verarbeitung von Problemen keine Auslöser für Tumorerkrankungen darstellen.

Ohne Geld geht nichts
„Zwei wesentliche Bereiche sind für die Psychoonkologie wichtig”, so Gaiger: „Die Coping-Strategien des jeweiligen Patienten, aber auch seine sozioökonomische Situation.” Wenn ein Mensch an Krebs erkrankt, beeinflusst dies das Leben der ganzen Familie – nicht nur was die Bewältigung des praktischen Alltags anbelangt, sondern vor allem auch in Bezug auf die Gedanken und Gefühle aller Beteiligten.
Es gibt leider keine Patentlösung für den Umgang mit der Erkrankung: Jeder Mensch ist einzigartig und bringt seine eigene Art und Weise im Umgang mit der Erkrankung mit. Daher gibt es auch keine „richtige” oder „falsche” Art der Krankheitsbewältigung. Angst ist ein Gefühl, das die meisten Betroffenen erleben: Angst vor der Behandlung und ihren Nebenwirkungen , Angst vor einer „Apparatemedizin”. Diese Angst ist eine notwendige, normale seelische Reaktion auf die Diagnose Krebs. Angst entsteht oft durch fehlende oder unzureichende Informationen.

Häufiger Depressionen
Besonders jüngere Patienten mit geringem Einkommen und niedrigerem Bildungsstatus weisen im Verlauf einer Krebserkrankung häufig psychische Probleme, wie Angst und Depressionen auf. „15 bis 30 Prozent aller Krebspatienten zeigen Belastungsreaktionen wie erhöhte Angst- und Depressivitätsneigung”, erläuterte Gaiger im Rahmen seines Vortrags. Zwischen einem niedrigen Einkommen und Depressionen besteht ein linearer Zusammenhang, wie Gaiger nachwies: „Etwa 45 Prozent aller Patienten mit einem Einkommen von weniger als 800 Euro pro Monat erkranken an einer behandlungsbedürftigen Depression; Patienten mit einem Einkommen von über 2.200 Euro dagegen erkranken nur in 18 Prozent aller Fälle.”

Eingeschränkte Wirksamkeit
Eine medikamentöse antidepressive Behandlung wirkt bei Depressionen von Krebspatientinnen und -patienten nicht in allen Fällen: „Ein wesentlicher Bestandteil der antidepressiven Therapie ist die psychotherapeutische Begleitung der Betroffenen und ihrer Angehörigen, sowie eine genaue Abklärung der Genese der depressiven Symptomatik. So steht bei einem „chronic fatigue syndrome”, bedingt durch eine Tumoranaemie, die Anhebung des Hämoglobinwertes im Vordergrund, bei einer schwierigen sozialen Situation von Menschen die in oder Nahe an der Armutsgrenze leben die Sozialarbeit oder finanzielle Überbrückungshilfen, wie sie z.B. durch die Krebshilfe angeboten werden. Rezente Studien in der Psychoonkologie untersuchen, inwieweit eine chemotherapieassozierte Beeinträchtigung höherer cerebraler Funktionen ein der Depression ähnliches Bild verursachen kann. Besonders wichtig ist dabei die umfassende Aufklärung des Patienten. „Die meisten Patienten wollen alle Informationen über ihre Erkrankung, gute wie schlechte”, hielt Gaiger fest. „Aus Zeitmangel und wegen gesetzlicher Vorschriften findet allerdings meist nur eine forensische Aufklärung statt.” Durchschnittlich vier Minuten und 17 Sekunden verbringt ein behandelnder Arzt mit seinem Patienten im Gespräch.* „Und die Zeit, in denen mit Angehörigen gesprochen wird, beträgt sogar nur 20 Sekunden”, sagte Gaiger. Eine psychoonkologische Betreuung, wie sie heute bereits an vielen Krebsstationen gewährleistet ist, kann dieses Defizit wenigsten ansatzweise abfangen.

Beeindruckende Erfolge
Und die Auswirkungen einer psychoonkologischen Versorgung sind durchaus beeindruckend, wie Studiendaten zeigen (siehe Abbildung). So nimmt etwa Stress deutlich ab, wenn eine psychoonkologische Betreuung möglich ist. Auch Schmerzen können mit einer psychoonkologischen Unterstützung gelindert werden.
Die Angebote der Psychoonkologie sind dabei durchaus vielfältig: „Das beginnt bei der psychoonkologischen Basisdiagnostik und führt über psychotherapeutische Einzelgespräche und Psychoedukation bis hin zur Angehörigenberatung”, erläuterte Gaiger. Ein wesentlicher Bestandteil ärztlich psychoonkologischer Arbeit ist es durch begreifbare Information den Betroffenen zu ermöglichen mit Krebs zu leben, so Gaiger abschließend, „ beeindruckend in der gemeinsamen Arbeit von Ärzten und Betroffenen ist das Ausmaß an Kraft und Gesundheit das in dieser Krisensituation mobilisiert wird.
Sabine Fisch

* D.Kempf, Diss 2007, Med.Fak, Univ.Freiburg