„… und bei allem war man die Erste!“

Dr. Gabriele Possanner von Ehrenthal

Dr. Gabriele Possanner von Ehrenthal

Zur Geschichte der ersten Ärztinnen in Österreich

Erst seit dem Jahr 1900 dürfen Frauen in Österreich Medizin studieren. Die erste österreichische Ärztin, Dr. Gabriele Possanner von Ehrenthal musste ihr Medizinstudium in Zürich absolvieren und sämtliche Rigorosen in Österreich nochmals wiederholen, bevor ihr der Titel „Dr. med. univ.” zugestanden wurde. Seither hat sich viel geändert in der Medizin – freilich: Die Führungspositionen sind zum überwiegenden Teil nach wie vor wie fest in männlicher Hand.

Mit diesem Beitrag beginnt eine Serie in der Ärztewoche, die einige der wenigen Frauen in medizinischen Führungspositionen vor den Vorhang holt. In Interviews berichten sie über ihren Karriereweg, Erfolge und Hindernisse. Im ersten Teil der Serie stellt Sabine Fisch die historischen Vorbilder der heute tätigen „Großen Frauen in der Medizin” vor.

Der erste weibliche Doktor der gesamten Heilkunde wurde am 2. April an der Wiener Universität feierlich promoviert. Baronin Gabriele Possanner von Ehrenthal ist der erste weibliche Arzt in Wien. Gabriele Possanner (…) wurde es bedeutend schwerer gemacht in Wien den Doktorgrad zu erreichen, als bei ihren männlichen Kollegen üblich. (…) Auf ihre Promovierung hatte sich großes Interesse gelegt und ein zahlreiches Publikum hatte sich zu derselben im Festsaal der Universität eingefunden. Allerdings bestand das Publikum nicht aus lauter Personen, die für die große Bedeutung der Promovierung einer Frau zum Arzt das nötige Verständnis besaßen. Manche konnten ihre bornierten Gefühle nicht beherrschen und äußerten sich durch Zischen, während das verständige Publikum seinen Beifall gab.” (Arbeiterinnenzeitung vom 2. April 1897 – anlässlich der ersten Promotion einer Frau auf österreichisch-ungarischem Boden)

Gabriele Possanner von Ehrenthal, an deren Ordination heute eine Gedenktafel in der Alserstraße 26 im neunten Wiener Gemeindebezirk erinnert, musste heute unglaublich scheinende Hürden überwinden, um das zu tun, was sie als ihre Berufung ansah, nämlich als Ärztin zu arbeiten. Sie legte zweimal die Matura ab (einmal in Österreich, einmal in der Schweiz), und musste als in der Schweiz promovierte Medizinerin in Österreich noch einmal 21 Prüfungen ablegen, bevor sie sich in Wien als praktische Ärztin niederlassen konnte. Mit 68 Jahren erhielt Possanner von Ehrenthal als erste österreichische Frau den Titel „Medizinalrat”. „Ihrer Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass das Medizinstudium ab 1900 für Frauen geöffnet wurde”, berichtet die Medizinhistorikerin und Ärztin Dr. Ingrid Arias vom Institut für Medizingeschichte in Wien.

Zäher Anfang
Im Jahr 1910 waren im gesamten Gebiet der Donaumonarchie 80 Ärztinnen, die in Österreich studiert hatten, tätig. In Wien arbeiteten davon 39. Bereits am 1. September 1903 nahm die erste Kassenärztin ihre Arbeit auf: Dr. Frederika Lubinger praktizierte als Ärztin für die Arbeiterinnen der Allgemeinen Arbeiter Kranken- und Unterstützungskasse in Wien. Bis 1912 stieg die Zahl der Kassenärztinnen dieser Versicherung auf ganze fünf. Die Mehrheit der zu dieser Zeit praktizierenden Ärztinnen arbeitete als niedergelassene Praktikerin. Bis 1929 stieg die Zahl der Ärztinnen auf 477, auch Fachärztinnen waren darunter. Besonders viele arbeiteten übrigens als Zahnärztin (72). Eine einheitliche Ausbildungsordnung, die zum Führen eines Facharzttitels berechtigte bestand übrigens in Österreich bis nach dem zweiten Weltkrieg nicht. Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde 1938 in Österreich die deutsche Reichsärzteordnung übernommen. Erst das österreichische Ärztegesetz vom 30. März 1949 schrieb eine Facharztausbildung vor und die dazu notwendigen Fertigkeiten fest.

Unikarriere unmöglich
Bis zu Beginn der Nazidiktatur durfte sich jede Ärztin/jeder Arzt als „Fachärztin/Facharzt” bezeichnen, wenn sie oder er sich dazu berechtigt und ausgebildet fühlte. Dies tat auch die erste Gynäkologin, die die Annalen der Medizingeschichte Österreichs verzeichnete. Ihr Name war Dr. Dora Teleky. Die Arzttochter promovierte 1904 an der Alma mater Rudolphina und absolvierte ihre Facharztausbildung an der 1. Chirurgischen Klinik am Wiener Allgemeinen Krankenhaus unter Anton Eiselsberg sowie an der II. Frauenklinik. Sie wählte das Spezialgebiet Urogynäkologie und arbeitete intensiv wissenschaftlich. Habilitieren konnte sie sich allerdings nicht, auch wenn dies zeitlebens ihr Wunsch gewesen war. Die Medizinhistorikerin Dr. Ingrid Arias: „Sie hat wissenschaftlich gearbeitet und zahlreiche Publikationen in wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht. Allerdings wäre es in den frühen 20er Jahren für eine Frau undenkbar gewesen, sich zu habilitieren. Dr. Dora Teleky musste 1938 vor den Nazis fliehen und emigrierte, gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Physiologen Prof. Dr. Ernst Theodor von Brücke, nach Boston in die USA, wo sie bis zu ihrer Pensionierung als Frauenärztin arbeitete.

Zurück in die Zukunft?
Übrigens scheint es auch heute, wenn schon nicht unmöglich, so doch immer noch äußerst schwierig zu sein, im Fach Frauenheilkunde in einer Führungsposition zu arbeiten: Derzeit sind zwar in ganz Österreich genau 1.515 FachärztInnen als GynäkologInnen tätig. 485 davon sind Frauen, also rund ein Drittel. Nichts desto weniger werden immer noch sämtliche Universitätskliniken für Frauenheilkunde und Geburtshilfe von Männern geführt. Abteilungen an Krankenhäusern sind ebenfalls praktisch zu 100 Prozent von männlichen Frauenärzten geführt. Zwei Ausnahmen gibt es immerhin seit heuer: So ordiniert die Gynäko-Onkologin Prof. Dr. Teresa Wagner seit Juni 2007 als Primaria der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe am Kaiser Franz Josef Spital in Wien. Prof. Wagner ist das ebenfalls ein Portrait dieser Serie gewidmet. Als zweite Primaria einer Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe folgte ihr Prof. Dr. Petra Kohlberger als ärztliche Leiterin der Semmelweisklinik.


Prof. Dr. Helene Wastl

Prof. Dr. Helene Wastl

Bastion eingenommen
Prominente Vorbilder der heute agierenden weiblichen Abteilungsvorstände und Ordinariae sind erneut in der Vergangenheit zu suchen. Als ein solches Vorbild kann beispielsweise Prof. Dr. Helene Wastl gelten, die es als erste Frau in Österreich schaffte, sich in der Medizin und zwar im Fach Physiologie, zu habilitieren. Ihr Mentor war übrigens Dora Telekys Ehemann: Prof. Dr. Ernst Theodor von Brücke. Er ermöglichte es der engagierten Medizinerin, ihre ersten wissenschaftlichen Arbeiten zu veröffentlichen. Wastl galt als strebsam und gewissenhaft. Sie entsprach ganz und gar dem Bild der Medizinstudentin, das der Wiener Pathologe Prof. Dr. Rudolf Maresch in der Festschrift zum 30jährigen Jubiläum des Hochschulzugangs für Frauen so charakterisierte: „Die geistige Reife, die Frauen häufig rascher erlangen, erleichtert ihnen das Eindringen in das ernste Wissensgebiet, und Fleiß, Ausdauer, Gewissenhaftigkeit, die ernsten Frauen in hohem Maße eignen, bringen es mit sich, dass uns die Erscheinung der „verbummelten” Studentin unbekannt geblieben ist.”
Trotzdem dauerte es zwei Jahre, bis ihr die Venia legendi zugestanden wurde, wie die Medizinhistorikerin und Ärztin Doz. DDr. Sonia Horn beschreibt: „Sie reichte 1928 um die Venia legendi ein, verliehen wird sie ihr erst im Jänner 1930. Der Entscheidungsprozess dauerte somit fast zwei Jahre.” Der Habilitation zur außerordentlichen Professorin für Physiologie waren Studienaufenthalte in Graz (1923) und in Cambridge (1924) vorausgegangen. Neben ihrer Tätigkeit als Physiologin war Helene Wastl Delegierte der Hygienesektion des Völkerbundes. 1931 wurde sie an die Lehrkanzel für Physiologie ans Women`s Medical College Philadelphia gerufen, die sie 1936 verlässt um an die Cornell University zu wechseln. Einmal noch kehrte Helene Wastl nach Österreich zurück. Sie heiratete den Physiologen Dr. Franz Lippay und setzte danach ihre Lehrtätigkeit an der Cornell University fort. In der Nazizeit wurden ihr Doktortitel und Habilitation aberkannt. Danach verliert sich ihre Spur.


Viel verändert?
Mittlerweile studieren mehr Frauen als Männer Medizin. 57,6 Prozent der TurnusärztInnen sind weiblich, bei den AllgemeinmedizinerInnen beträgt der Frauenanteil 48,6 Prozent und 30,4 Prozent aller FachärztInnen in Österreich sind Frauen (siehe Kasten 2). Führungspositionen für Frauen bleiben allerdings dünn gesät. Das zeigt der Anteil an ordentlichen Professorinnen der medizinischen Universitäten in Österreich: Er liegt nach wie vor bei nur zehn Prozent.**

Zulassung von Frauen zum Medizinstudium:

Jahr

Land

1864

Schweiz

1868

Spanien

1870

Schweden

1874

Großbritannien (Medical School of Women)

1875

Finnland, Dänemark, Niederlande, Indien

1876

Belgien, Italien

1878

Australien

1886

Island

1888

Frankreich

1890

Griechenland

1894

Osmanisches Reich

1896

deutsches Reich und Ungarn

1900

Österreich

Ärztinnen und Ärzte in Österreich:


alle

m

f

Frauenanteil 2006

Alle Ärzte

12.261

6.308

5.953

48,6%

Turnusärzte

6.497

2.758

3.739

57,5%

Allgemeinmediziner

12.261

6.308

5.953

48,6%

Fachärzte

17.807

12.399

5.408

30,4%





 

Ärzte mit Ordination

15.088

10.772

4.316

28,6%

AM mit Ordination

6.304

4.149

2.155

34,2%

Fachärzte mit Ordination

8.747

6.602

2.145

24,5%





 





 

Angestellte Ärzte

20.011

9.939

10.072

50,3%

Angestellte AM

4.884

1.684

3.200

65,5%

Angestellte FA

8.491

5.426

3.065

36,1%

Quelle: Ärztekammer Österreich

Zahlen und Informationen aus:
Birgit Bolognese-Leuchtenmüller, Sonia Horn (Hrsg.) „Töchter des Hippokrates” 100 Jahre akademische Ärztinnen in Österreich. Verlag der Österreichischen Ärztekammer 2000
Sonia Horn, Ingrid Arias (Hrsg.) „Sozialgeschichte der Medizin – Medizinerinnen” Wiener Gespräche Band 3. Verlagshaus der Ärzte 2003
Stand FachärztInnen für Gynäkologie Österreich – Zahlen von der Ärztekammer Österreich
* Zitat von Dr. Dora Teleky (1885 – 1963)
** Quelle: Medizinische Universität Innsbruck http://www.i-med.ac.at/gleichstellung/mentoring/ausgangslage.html