„Wie funktioniert dieses Menschenwerk?“

Dr. Susanne Rabady

Dr. Susanne Rabady

Die Allgemeinmedizinerin Dr. Susanne Rabady spielte nicht mit Puppen – sie verband sie.

Heute führt sie eine Landarztpraxis im niederösterreichischen Windigsteig, ist Vizepräsidentin der ÖGAM und Projektleiterin der EBM-Guidelines für AllgemeinmedizinerInnen. Und auch nach über 20 Jahren Berufspraxis ist das Interesse an der Medizin, erstmals geäußert mit vier Jahren, nicht erlahmt – im Gegenteil.

Im Gespräch mit der Ärztewoche erzählt die Allgemeinmedizinerin über die Anfänge als Landärztin, warum sie die Arbeit an der EBM-Guidelines als Zeit für sich begreift und wieso sie schon einmal alles „hinschmeißen” wollte.

Wann wussten Sie, dass Sie Ärztin werden wollten?

Rabady: Eigentlich schon als Kind. Meine Freundinnen haben mit Puppen gespielt, ich habe sie untersucht und verbunden. Später standen eine Weile andere Interessen im Vordergrund. Ich habe dann auch nicht gleich nach der Matura Medizin studiert, sondern Germanistik und Theaterwissenschaft belegt. Allerdings hielt ich mich schon damals – eine Freundin studierte Humanmedizin – mehr an der medizinischen Fakultät auf als an der geisteswissenschaftlichen. Ein spontaner Entschluss führte letztlich zur Aufnahme des Medizinstudiums – und mein Interesse daran, wie „dieses Menschenwerk” denn funktioniert.

„Stolpersteine” auf dem Weg?

Rabady: Schwer zu sagen. Ich habe meine Arbeit immer sehr gern gemacht, auch während meiner Ausbildungszeit an einer internen Station eines kleinen Landspitals. Benachteiligungen habe ich da nicht erlebt: Wir mussten alle gleich viel arbeiten. Die Führung einer Landarztpraxis ist aber nach wie vor für einen Mann einfacher – schon weil die meisten eine Ehefrau haben, die den Haushalt schupft und in der Ordination mitarbeitet – ich habe keine Ehefrau, da war die Organisation natürlich schon schwieriger, auch wenn mich mein Mann immer sehr unterstützt hat. Karriere hemmend war sicherlich, dass ich zu Ende des Turnus deutlich älter war als die Kollegen, bedingt durch den späteren Studienbeginn, und die Zeit, in der ich meine beiden Kinder bekommen habe und zwei Jahre in Karenz war. Bereut habe ich das aber trotzdem nicht.

Ärztin und Privatleben – geht das überhaupt?

Rabady: Es geht. Es ist allerdings immer auch eine Frage der Sichtweise: Für mich ist beispielsweise die Arbeit an den EBM-Guidelines für Allgemeinmediziner durchaus Zeit für mich, es ist aber keine Freizeit und auch keine Zeit für meinen Mann und meine Söhne. Ich denke allerdings, dass meine Arbeit mit Familie noch leichter zu vereinbaren ist, als etwa die Tätigkeit in einer Fabrik. Ich habe die Möglichkeit, Leistung zu zu kaufen – ich muss nicht waschen und bügeln. Eine Fabrikarbeiterin kann das nicht. Schwieriger ist da schon das Einhalten von familiären Ritualen wie dem gemeinsamen Essen oder Einschlafritualen – da kommt es oft vor, dass das Telefon läutet und ich weg muss. Mein älterer Sohn hat als kleines Kind mal zu mir gesagt: „Mama, wenn ich groß bin, heirate ich keine Ärztin!” Ganz schwierig wird es, wenn ein familiärer Notfall gleichzeitig mit einem medizinischen auftritt. Auch das ist mir einmal passiert. Die Rettung rief an und erklärte mir, dass a) mein Sohn verschwunden sei und b) ein Herzinfarktpatient dringend meine Anwesenheit erforderlich mache. Ich bin zum Herzinfarktpatienten gefahren und habe felsenfest darauf vertraut, dass meinem Sohn nichts passiert ist. Vorher rief ich noch eine Freundin an, die ihn suchen sollte. Es ist nichts passiert: Der Herzinfarktpatient kam zu seinem Recht, mein Sohn war bei einem Freund und hatte nicht Bescheid gesagt. Aber ich bin da schon sehr mit mir selbst in Konflikt geraten. Es sind ja die Frauen, die die familiären Strukturen aufrecht erhalten. Für mich war nie die Arbeitsbelastung ein Problem, wohl aber die physische Präsenz zu Hause. Das ist wohl auch der Grund, warum in unserem Bezirk von 20 LandärztInnen nur zwei Frauen sind. Seit die Kinder größer sind, gehe ich aber sehr wohl wieder fort, komme zum Lesen und auch zum Sport, aber halt nicht jeden Tag.

Warum Allgemeinmedizin?

Rabady: Das war eher Zufall. Ich wollte Fachärztin für Innere Medizin werden und habe auch die Ausbildung dazu begonnen. Dann sind die Kinder gekommen und die Möglichkeit, eine Landarztpraxis zu übernehmen. Das ging dann sehr rasch. Ich habe mich spontan dazu entschlossen – ursprünglich hat mich das nicht interessiert. Ich dachte, Allgemeinmediziner wären „Zettelschreiber” (lacht). Ich hatte keine Ahnung, was für ein vielfältiges Aufgabengebiet mich da erwartet. Ich habe die Übernahme der Praxis auch keinen Tag bereut. Ich war vom ersten Tag an glücklich mit der Entscheidung – das hat sich bis heute nicht geändert.

Haben Sie schon einmal eine Niederlage erlebt?

Rabady: Irrtümer oder suboptimales Verhalten im Umgang mit PatientInnen bedeuten jedes Mal wieder Niederlagen. Unerwünschte Behandlungsverläufe – das sind Niederlagen. Im Großen und Ganzen allerdings erinnere ich mich viel eher an positive Dinge, und vergesse unangenehme Erfahrungen eher schnell.

Wollten Sie schon mal aufgeben?

Rabady: Ja. Immer wieder, aber ganz situativ nach langen anstrengenden Diensten. Ich erinnere mich allerdings an eine Situation, da wollte ich wirklich alles „hinschmeißen”. Es war nach einem „Bereitschafts”dienst in der Praxis, drei Nächte und vier Tage hatte ich fast ununterbrochen durchgearbeitet, insgesamt vielleicht sechs Stunden geschlafen. Als ich danach beim Frühstück saß, hörte ich einen Politiker im Radio, der sich darüber beschwerte, dass Allgemeinmediziner ihre Ordis nur 12 Stunden in der Woche offen hielten und damit ihrem Versorgungsauftrag für die Bevölkerung nicht nachkämen. Da habe ich mir gedacht: Jetzt mag ich nimmer. Aber das ging zurück vorüber.

Was war die größte Herausforderung in Ihrer Karriere?

Rabady: Sicher die EBM-Guidelines www.ebm-guidelines.at; Anm.). Da steckt mein Herzblut drin. Es bedeutet sehr viel Logistik und viel Aufwand einer ganzen Gruppe von AllgemeinmedizinerInnen wie mir, diese Guidelines immer aktuell zu halten. Ich alleine stecke da sicher 20 Arbeitsstunden pro Woche hinein. Ich habe diese Tätigkeit angefangen, weil ich nach Reflexion meiner beruflichen Tätigkeit gesucht habe. Die Arbeit innerhalb des Teams, das sich damit beschäftigt, ist eine tolle Erfahrung und eine Bereicherung. Das alles hält meine Praxis spannend. Ich bleibe lebendig, fresse mich nicht in Routinen und Abläufen fest, das fordert mich immer wieder auf mehreren Ebenen.
Benachteiligung von Frauen – haben Sie das auch erlebt?

Rabady: Ich glaube schon, dass Frauen mehr Kränkungen wegstecken, sich ihre Position und die Anerkennung härter erarbeiten müssen. Dazu kommt die Mehrfachbelastung. Ich denke aber, Frauen dürfen nicht in der Opferrolle verharren, da wird sie niemand herausholen. Das können sie nur selbst. Und ich muss auch sagen: Es sind letztlich nur einige Jahre, die wirklich schwierig sind, wenn die Kinder klein sind. Wenn die Arbeit auch Freude macht, und Erfolg bringt, lohnt sich das auch.

Wie wichtig sind Netzwerke in der Medizin?

Rabady: Netzwerke sind Möglichkeiten, sich Unterstützung zu holen, Bestätigung zu erhalten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauennetzwerke besonders gut funktionieren – wir wissen, unter welchen Belastungen jede Einzelne steht – das erleichtert die Zusammenarbeit und das Verständnis. Ärztin sein ist ein sehr fordernder Beruf, die Zusammenarbeit in Netzwerken kann sicherlich dem Burnout entgegenwirken.

Woher holen Sie sich Ihre Kraft?

Rabady: Beruflich schöpfe ich Kraft aus dem was ich tue. Ich liebe meine Arbeit. Privat gibt mir meine Familie unheimlich viel Kraft. Meinen Kindern geht es gut, es gibt keine großen Probleme. Der jüngere Sohn will übrigens auch Arzt werden. Und mein Mann ist eine wichtige Kraftquelle: Ohne seine Hilfe hätte ich Arbeit und Familie nie unter einen Hut gebracht. Er ist einfach auch für die Familie emotional eine große Stütze und für die Kinder eine vollwertige Bezugsperson. Ich hatte – wenn ich phasenweise weniger in der Familie präsent war – nie das Gefühl, die Kinder zu vernachlässigen, weil mein Mann, er ist ebenfalls Freiberufler da war. Auch meine Schwiegermutter hat uns sehr unterstützt, als die Kinder klein waren. Ich denke auch, dass es sehr viel Sinn macht, wenn Kinder nicht nur die Mutter als Bezugsperson haben, sondern auch andere Menschen, Väter, Großeltern, diese Position einnehmen.

Wenn Sie heute zurück schauen – was hätten sie anders gemacht?

Rabady: Die Antwort lautet Ja und Nein: Sicherlich hätte ich manches anders gemacht, hätte ich vorher die Konsequenzen gekannt. Vielleicht hätte ich nicht zuerst Germanistik studiert, sondern gleich Medizin. Anderseits möchte ich die Erfahrung nicht missen. Im Nachhinein ist so eine Frage nicht eindeutig zu beantworten: Man ist ja ein Produkt dessen, was man getan hat. Hätte ich manches anders gemacht, wäre ich heute ein anderer Mensch.
Das Gespräch führte Sabine Fisch.

zur Person:
Dr. Susanne Rabady promovierte 1984 und absolvierte ihren Turnus in Waidhofen/Thaya. 1993 übernahm sie eine Landarztpraxis im niederösterreichischen Windigsteig. Seit 2002 ist Rabady Projektleiterin der EBM-Guidelines Allgemeinmedizin und seit 2003 Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin. Weiters arbeitet sie als Betriebsärztin und hat Lehraufträge für Allgemeinmedizin in Wien und Salzburg. Dr. Susanne Rabady ist verheiratet mit dem Veterinärmediziner Dr. Zavar Rabady. Sie hat zwei erwachsene Söhne.